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Han Kang

südkoreanische Schriftstellerin; Nobelpreis (Literatur) 2024
Geburtstag: 27. November 1970 Gwangju
Nation: Korea, Republik

Internationales Biographisches Archiv 47/2024 vom 19. November 2024 (bo)
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 50/2024


Blick in die Presse

Herkunft

Han Kang wurde am 27. Nov. 1970 in Gwangju im Südwesten von Südkorea als Tochter des Schriftstellers Han Seung-won geboren, der auch als Lehrer arbeitete. Ihr Bruder Han Dong Rim wurde später ebenfalls Schriftsteller. Anfang 1980 zog die Familie in die Hauptstadt Seoul, vier Monate bevor in Gwangju ein Protest gegen das damalige Militärregime brutal niedergeschlagen wurde. Zu einem traumatischen Kindheitserlebnis für H. wurde später ein Fotoband über das Massaker mit Hunderten Toten, den sie im Bücherregal der Eltern entdeckte.

Ausbildung

Aufgrund häufiger Umzüge ihrer Familie besuchte H. fünf verschiedene Grundschulen. Später studierte sie an der Yonsei-Universität in Seoul Koreanische Literatur und machte dort 1993 ihren Abschluss.

Wirken

Künstlerische EinordnungH., die auch als Journalistin für Zeitschriften sowie ab 2013 als Hochschuldozentin für Kreatives Schreiben am Seoul Institute of the Arts tätig war, hatte in ihrer südkoreanischen Heimat bereits in den 1990er Jahren mit ihren ersten Prosawerken großen Erfolg. Sie nahm überdies 2007 ein Album mit selbst komponierten Balladen auf und betätigte sich als visuelle Künstlerin; das PalaisPopulaire in Berlin zeigte 2020 in der Ausstellung "White Thread" Skulpturen, Performances und Videoinstallationen H.s. Wiederkehrende Themen in ihrem Werk sind Einsamkeit, Trauer und Gewalt; H. sprach davon, dass sie immer wieder die Frage umtreibe, wie man als Teil der Gattung Mensch leben könne, zu deren Wesen die Gewalttätigkeit gehöre (vgl. worldliteraturetoday.org, 30.4.2016). 2015 gelang ihr der internationale Durchbruch mit ihrem dritten Roman "Die Vegetarierin", der 2007 auf Koreanisch erschienen war und als erstes H.-Buch ins Englische übertragen wurde. Die Autorin und die Übersetzerin Deborah Smith gewannen 2016 den Man Booker International Prize.

2024 wurde der damals mit 53 Jahren noch vergleichsweise jungen H. als erster Südkoreanerin der mit umgerechnet knapp 1 Mio. Euro dotierte Literaturnobelpreis zuerkannt. Die Schwedische Akademie begründete ihre Preisvergabe mit H.s "intensiver poetischer Prosa, die sich mit historischen Traumata befasst und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens offenlegt" (nobelprize.org, abgerufen am 23.10.2024). Die Presse nahm die Bekanntgabe weitgehend positiv auf. H.s Wahl sei eine "glänzende Entscheidung", befand bspw. die Süddeutsche Zeitung (11.10.2024) und hob den behutsamen, oftmals kafkaesken Erzählstil der Autorin hervor. Mara Delius von der WELT (13.10.2024) hingegen kritisierte die Wahl, da es sich bei H.s Werk in weiten Teilen um sprachlich wenig anspruchsvolle "bestsellerfähige Literatur" handle.

Erste Veröffentlichungen und internationaler Durchbruch1993 debütierte H. als Autorin mit Gedichten in einer koreanischen Literaturzeitschrift und gewann 1994 mit der Kurzgeschichte "Bulgeun Dat" (zu dt. "Roter Anker") den Literaturwettbewerb der Zeitung "Seoul Shinmun". Auf ihren ersten Erzählband "Yeosu-ui Sarang" (1995; zu dt. "Liebe in Yeosu") folgten zahlreiche weitere Prosawerke. Nachdem sie 1998 ein Autorenstipendium an der University of Iowa in den USA wahrgenommen hatte, gewann sie 1999 den Korean Novel Award für ihre Novelle "Agi Bucheo" (zu dt. "Baby Buddha"), die später als Vorlage für den koreanischen Spielfilm "Scars" (2011) diente. Auch ihre Novelle "Mong go ban jum" (2005) und ihr Roman "Barami bunda" (2010) gewannen in Südkorea Literaturpreise.

Eine ihrer frühen Kurzgeschichten kam 2005 in der Anthologie "Koreanische Erzählungen" unter dem Titel "Die Früchte meiner Frau" in deutscher Übersetzung heraus und handelt von einer Ehefrau, die sich in eine Topfpflanze verwandelt. Darin hat auch H.s Erfolgsroman "Die Vegetarierin" seine Wurzeln, der in Südkorea bereits 2007 erschien und 2009 von Lim Woo-Seong verfilmt wurde. Mit der Übersetzung ins Englische acht Jahre später wurde er zum internationalen Bestseller. Die Protagonistin im Buch, eine unscheinbare Hausfrau, isst eines Tages kein Fleisch mehr, duldet auch keines mehr im Haus, stößt damit auf brachiales Unverständnis, lehnt Nahrungszufuhr bald komplett ab und träumt von einem Leben als Pflanze, die nur mit Sonnenlicht auskommt, bis sie schließlich in der Psychiatrie endet. Der multiperspektivische Roman hinterließ auch bei der deutschsprachigen Fachkritik einen nachhaltigen Eindruck als kafkaeske Parabel über "das grausame Gesetz des Fleisches" (FAZ, 14.8.2016), als verstörendes Buch mit "leiser, revolutionärer Kraft" (SPIEGEL Literatur, 9/2016) oder - mit Blick auf den koreanischen Kontext - als Geschichte einer Verweigerung gegenüber einer "extrem konformistischen Gesellschaft" mit paternalistischen Strukturen (TA, 6.9.2016).

Übertragungen ins Deutsche ab 20172017 erschien auf Deutsch H.s Roman "Menschenwerk" (Orig. 2014), eine literarische Aufarbeitung des Massakers von Gwangju. Erzählt wird das Grauen aus Sicht der Toten, der Hinterbliebenen und der Davongekommenen, die noch Jahre später vom posttraumatischen Phänomen der "Überlebensschuld" verfolgt werden. Kritiker lobten H.s formale Gestaltung, die "wie selbstverständlich das übergroße Leid in Literatur überführt, ohne es je zu ästhetisieren" (FAZ, 21.9.2017). Deutlich verhaltener fielen die Reaktionen auf "Deine kalten Hände" (dt. 2019) aus, H.s zweiten Roman, der im Original 2002 erschienen war und von einem Bildhauer mit einer Vorliebe für fettleibige, weibliche Modelle handelt. In Kritiken hieß es, die Autorin sei erzähltechnisch "noch auf dem Weg" zu ihrer späteren Meisterschaft (SZ, 8.3.2019) und schlingere manchmal "bedenklich zwischen Kunstbetriebssatire und Emanzipationsdrama" (FAZ, 16.3.2019).

Autobiographisch gefärbt war der als Prosa-Bildband beschriebene Roman "Huin" (2016), der 2017 bereits in englischer ("The White Book") und 2020 dann in deutscher ("Weiß") Übersetzung vorlag. Darin reflektiert H. den Tod ihrer älteren Schwester, die als Frühgeborene nur zwei Stunden auf der Welt war, und ihre eigenen, damit verbundenen Schuldgefühle, anstelle der Verstorbenen aufgewachsen zu sein. Mit einem gebetsähnlichen Ritual verglich H. ihre Arbeit an diesem Buch, das nicht nur Verlust und Trauer, sondern zugleich die Kostbarkeit des vergänglichen Lebens zum Thema habe (vgl. theguardian.com, 17.12.2017). DIE WELT (12.9.2020) nannte den Band "bedrückend erhebend" und "wunderbar verstörend". H.s ursprünglich 2011 veröffentlichter Roman "Huilab-eo Sigan" erschien 2023 auf Englisch ("Greek Lessons") und 2024 auf Deutsch ("Griechischstunden"). Das von der ZEIT (8.2.2024) als "vielleicht leiseste Liebesgeschichte der Welt" umschriebene Buch um eine plötzlich nach belastenden Lebenserfahrungen verstummte Frau und ihren langsam erblindenden Altgriechischlehrer in Seoul wurde im deutschen Feuilleton erneut durchweg positiv aufgenommen. In der Neuen Zürcher Zeitung international (8.5.2024) hieß es, der Roman falle im Vergleich zu den zuvor auf Deutsch erschienenen Büchern H.s "sehr viel privater, zarter und zum Ende hin geradezu freudvoll" aus.

Familie

H. ist geschieden, hat einen Sohn und wohnt in der Nähe von Seoul. Sie beschrieb sich als von der buddhistischen Tradition geprägt und lebte viele Jahre vegetarisch, bis ihr Ärzte nach einer schweren Krankheit rieten, nicht ganz auf Fleisch zu verzichten (NZZ, 29.9.2016). Schon als Teenager litt sie unter Migräne.

Werke

Veröffentlichungen in Übersetzung: "Die Früchte meiner Frau" (97; dt. 05, in: "Koreanische Erzählungen", hrsg. v. Sylvia Bräsel u. Lie Kwang-Sook), "Deine kalten Hände" (02; dt. 19), "Die Vegetarierin" (07; dt. 16), "Convalescence" (13; korean./engl.), "Menschenwerk" (14; dt. 17), "Weiß" (16; dt. 20), "Griechischstunden" (11; dt. 24).

Ausstellung u. a.: Pittsburgh (18), Berlin (20).

2024: Han Kang: "Unmöglicher Abschied". Roman. Aus dem Koreanischen.

Auszeichnungen

Auszeichnungen u. a.: Hankook Ilbo Award (95), Korean Fiction Award (99), Today's Young Artist Award (00), Yi Sang Lit. Award (05), Dong-ni Lit. Award (10), Manhae Lit. Award (14), Hwang Sun-won Lit. Award (15), Man Booker Internat. Prize (16), Malaparte-Preis (17), Kim Yu-jeong Lit. Award (18), Prix Medicis (23), Nobelpreis für Literatur (24).

Adresse

c/o Aufbau Verlage, Prinzenstr. 85, 10969 Berlin, Tel.: 030 28394–0, E-Mail: info@aufbau-verlage.de, Internet: www.aufbau-verlage.de

Internet: https://han-kang.net/



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