Herkunft
Mathieu Amalric wurde am 25. Okt. 1965 in Neuilly-sur-Seine geboren und wuchs in einem laizistischen, links-libertären Milieu auf. Seine Eltern arbeiteten beide als Journalisten, die jüdischstämmige Mutter war Literaturkritikerin und aus Polen eingewandert, der Vater u. a. Chefredakteur bei "Le Monde" und "Liberation". Als A. fünf Jahre alt war, lebte die Familie einige Jahre in Washington D.C., wo der Vater als Auslandskorrespondent arbeitete. Seine Eltern ließen sich scheiden, als A. ein Teenager war.
Ausbildung
A. studierte an der École normale supérieure Orientalistik.
Wirken
RegiekarriereA. gilt als einer der bekanntesten Schauspieler des französischen Films. Als seine eigentliche Karriere betrachtet er jedoch das Filmemachen, allerdings halten ihn nach eigener Aussage die guten Rollenangebote davon ab, sich nur der Regie-Arbeit zu widmen (vgl. The Sunday Times, 27.1.2008). Erste Kurzfilme drehte er ab 1985. 1987 wurde er Regieassistent bei Louis Malle während der Dreharbeiten zu "Auf Wiedersehen, Kinder". Auch von 1992-1995 arbeitete A. als Regieassistent. Sein Langfilm-Regiedebüt gab er mit dem Familiendrama "Mange ta soupe" (1997), in dem er die Scheidung seiner Eltern verarbeitete. Zum ersten Mal einen deutschen Verleih fand seine Regiearbeit "Tournée" (2010), an der A. über mehrere Jahre hinweg gearbeitet hatte und die bei den Filmfestspielen von Cannes den Preis für die beste Regie erhielt. A. schrieb auch das Drehbuch und übernahm die Hauptrolle in dem Künstlerdrama um einen verkrachten Manager, der mit seinen amerikanischen "Burlesque"-Tänzerinnen durch verschiedene französische Hafenstädte reist, wobei er versucht, ein Comeback in der Hauptstadt auf die Beine zu stellen. "Ein Film über das intensive Leben einer Theater-Tänzer-Truppe auf Tour und insofern eine vielschichtige Selbstreflexion des Schauspielerberufs", fand der film-dienst (19/2011). Die meisten Kritiker zeigten sich begeistert und lobten das Roadmovie für seine an John Cassavetes erinnernden dokumentarischen Züge - A. hatte die Tänzerinnenrollen mit Schauspielerinnen besetzt, die auch im echten Leben Stars der New-Burlesque-Szene sind und für die Filmaufnahmen eine wirkliche Tournee durch Frankreich organisiert.
Bei den Filmfestspielen von Cannes präsentierte er eine Adaption von Georges Simenons Roman "Das blaue Zimmer" (2014), dessen Drehbuch er mit seiner damaligen Lebensgefährtin Stéphanie Cléau schrieb. Beide übernahmen in dem Thriller auch die Hauptrollen, er als untreuer Ehemann, der unter Mordverdacht gerät, und sie als seine ebenfalls verheiratete Geliebte. Die deutschsprachige Fachkritik zeigte sich mehrheitlich begeistert, sprach von einer ebenso fesselnden wie unterkühlten Inszenierung und lobte, dass der Regisseur die kunstvoll verschachtelten Rückblenden der Vorlage beibehalten habe. SPIEGEL Online (www.spiegel.de, 2.4.2015) sah z. B. ein "Gedicht aus Licht, Schatten und nackten Körpern". Positiv beurteilt wurde auch A.s Entscheidung, in einem fast quadratisch anmutenden Format, Academy Ratio genannt, zu drehen. Der Tages-Anzeiger (20.8.2014) meinte dazu: "Es lässt den Figuren keinen Freiraum, sperrt sie vielmehr ein, denn das sind sie ja auch bei Simenon: Gefangene ihrer Gefühle." Um eine exzentrische französische Chansonsängerin drehte sich sein mehrfach ausgezeichneter Film "Barbara" (2017), der der Hauptdarstellerin Jeanne Balibar einen César einbrachte. Mit dem Familiendrama "Serre moi fort" folgte 2021 eine Theateradaption um eine Mutter, die ohne Vorwarnung ihre Familie verlässt, in der A. erstmals keine Rolle übernahm, sondern Vicky Krieps und Daniel Day-Lewis in den Hauptrollen besetzte.
Schauspielkarriere, Zusammenarbeit mit Arnaud DesplechinEher zufällig kam A. zur Schauspielerei und entwickelte sich mit seiner schmächtigen Statur und seinen markanten Gesichtszügen über die Jahre zu einem der bekanntesten Schauspieler in Frankreich, dessen Talent auch von der Fachkritik einhellig gefeiert wurde. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (1.4.2015) attestierte ihm "eine Mischung aus Jungenhaftigkeit und männlicher Überlegenheit, ein unberechenbares Charisma, das in ganz unterschiedlichen Rollen auf ganz ähnliche Weise strahlt. Bereits in den 1980er Jahren erhielt A. kleinere Rollen, doch erst in den 1990er Jahren verhalf ihm die Zusammenarbeit mit bekannten französischen Regisseuren zu einer größeren Präsenz im Kino. Er konnte sich mittlerweile in über 120 Filmen (Stand 2021) vor allem mit Rollen profilieren, die Männer in der Krise zeigen.
Eine intensive Zusammenarbeit verbindet A. mit dem Autorenfilmer Arnaud Desplechin. Unter seiner Regie drehte er u. a. das kafkaeske Drama "Die Wache" (1992) und den Film "Ich und meine Liebe" (1996), für den er den "César" als bester Nachwuchsdarsteller erhielt. Mit einem "César" gekrönt wurde auch seine Darstellung in Desplechins "Roi et Reine" (2004). 2008 übernahm er eine Hauptrolle in Desplechins eigenwilligem Familiendrama "Un conte de Noël" um eine Familie, deren Zusammenhalt vom frühen Krebstod eines Sohns überschattet wird und die sich am Weihnachtsfest einem neuen Schicksalsschlag stellen muss. Das Ensemble um A. mit Catherine Deneuve und Jean-Paul Roussillon wurde beim Filmfestival in Cannes mit einem Preis gewürdigt.
Internationaler Durchbruch und weitere FilmeInternational bekannt wurde A. als zwielichtiger Informant in Steven Spielbergs "München" (2005). Der in Amerika sehr kontrovers diskutierte Film erzählt von den Folgen des Überfalls einer palästinensischen Terrorgruppe auf israelische Sportler bei den Olympischen Spielen in München 1972. Seine "bisher beste Rolle" (WELT, 8.12.2007) übernahm A. nach einhelliger Kritikermeinung in "Schmetterling und Taucherglocke", der Verfilmung der gleichnamigen Memoiren von Jean-Dominique Bauby, dem ehemaligen Chefredakteur der französischen Zeitschrift "Elle". Bauby (im Film verkörpert von A.) erlitt mit 43 Jahren einen Schlaganfall und wachte danach mit dem "Locked-In-Syndrome" auf: Er war bis auf ein Auge bewegungsunfähig, sein Verstand jedoch blieb intakt. Mit Hilfe eines binären Codes gelang es ihm, einen Bestseller zu diktieren, der seinen Leidensweg beschreibt. Regisseur Julian Schnabel filmte den ersten Teil des Filmes konsequent und mit experimentellen Mitteln aus der Perspektive des Gelähmten. Der Kassenschlager wurde vielfach ausgezeichnet, A. selbst erhielt für sein lt. film-dienst (7/2008) "mutiges, keinerlei Sentimentalitäten erlaubendes Spiel" seinen zweiten "César".
2008 war A. in der Rolle des Bösewichts Dominik Greene im 22. James-Bond-Film "James Bond 007: Ein Quantum Trost" (Regie: Marc Forster) zu sehen. Damit wurde er Nachfolger solch illustrer Schurken wie Gert Fröbe und Christopher Lee und Gegenspieler von James-Bond-Darsteller Daniel Craig.
Filme in den 2010er JahrenIn einer Doppelrolle agierte er dann 2012 in dem von der Kritik sehr gelobten Drama "Ihr werdet euch noch wundern", in dem Alain Resnais von 13 Schauspielern (neben A. u. a. Sabine Azéma, Pierre Arditi und Michel Piccoli) erzählt, die sich nach dem Tod eines Theaterautors als Trauergäste zusammenfinden. In Roman Polanskis auf einer Novelle bzw. einem Theaterstück basierenden Film "Venus im Pelz" (2013) um die Machtkämpfe zwischen einem Regisseur und seiner Hauptdarstellerin spielte A. an der Seite von Emmanuelle Seigner.
Überzeugen konnte A. auch in der Ensemble-Komödie "Ein Becken voller Männer" (2018) von Gilles Lellouche, die ihn an der Seite von Guillaume Canet und Benoît Poelvoorde als depressiven Mann ohne Arbeit zeigte, der sich einer Synchronschwimmer-Gruppe anschließt. Auch im Fernsehen war A. gelegentlich zu sehen, u. a. in der französischen Erfolgsserie "Büro der Legenden" (2018-2020) als Geheimdienstchef. In der vierteiligen, 2020 auf Arte ausgestrahlten Miniserie "Mein sprechender Goldfisch" (2019) gab A. einen Immobilienmakler mit notorischen Geld- und Familienproblemen, der überraschend von seiner Mutter ein heruntergekommenes Mietshaus erbt. Die Stuttgarter Zeitung (6.5.2020) lobte, er spiele diese Rolle "großartig".
Familie
Der 1,68 m große A. war mit der Schauspielerin Jeanne Balibar verheiratet, mit der er zwei Söhne hat: Antoine (1997 geb.) und Pierre (1999 geb.). Aus der Beziehung mit der Theaterregisseurin und Schauspielerin Stéphanie Cléau hat er ebenfalls einen Sohn. Seit 2015 ist A. mit der kanadischen Sopranistin und Dirigentin Barbara Hannigan liiert.
Werke
Filme als Schauspieler (Auswahl): "La sentinelle" (92; dt. "Die Wache"), "Comment je me suis disputé (ma vie sexuelle)" (96; dt. "Ich und meine Liebe"), "Roi et Reine" (04), "Munich" (05; dt. "München"), "Le scaphandre et le papillon" (07; dt. "Schmetterling und Taucherglocke"), "Quantum of Solace" (08; dt. "James Bond 007: Ein Quantum Trost"), "Un conte de Noël" (08), "Les aventures extraordinaires d'Adèle" (10; dt. "Adèle und das Geheimnis des Pharaos"), "Poulet aux prunes" (11; dt. "Huhn mit Pflaumen"), "Cosmopolis" (12), "Vous n'avez encore rien vu" (12; dt. "Ihr werdet euch noch wundern"), "La vénus à la fourrure" (13; dt. "Venus im Pelz"), "Grand Budapest Hotel" (14), "The Forbidden Room" (15), "Les fantômes d'Ismaël" (17), "At Eternity's Gate" (18; dt. "Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit"), "Le grand bain" (18; dt. "Ein Becken voller Männer"), "Le bureau de légendes" (18-20; TV-Serie; dt. "Büro der Legenden"), "Intrige" (19), "L'agent immobilier" (19; TV-Miniserie; dt. "Mein sprechender Goldfisch"), "Oxygène" (21; dt. "Oxygen"), "The French Dispatch" (21).
Filme als Regisseur (Auswahl; zumeist auch Darsteller): "Marre de Café" (85; Kurzfilm), "Sans rires" (90), "Mange ta soupe" (97; dt. "Es wird aufgegessen"), "Le stade de Wimbledon" (01), "Tournée" (10; auch Drehbuch), "La chambre bleue" (14; auch Co-Drehbuch; dt. "Das blaue Zimmer"), "Barbara" (17), "Serre moi fort" (21; auch Co-Drehbuch).
5. Mai 2022: Kinostart (D): Siegmund Freud - Freud über Freud. Dokumentarfilm mit Mathieu Amalric, Isabelle Huppert, Catherine Deneuve, Sandrine Kiberlain, Birgit Minichmayr u. a. Regie: David Teboul.
28. Dezember 2023: Kinostart (D): "Black Friday for Future" (Frankreich 2023; "UNE ANNÉE DIFFICILE" ). Produzent: Nicolas Duval Adassovsky. Regie: Olivier Nakache, Éric Toledano. Buch: Olivier Nakache, Éric Toledano. Darsteller: Pio Marmaï (Albert, genannt "Poussin"), Jonathan Cohen (Bruno, genannt "Lexo"), Noémie Merlant (Valentine, genannt "Cactus"), Mathieu Amalric (Henri Tomasi), Grégoire Leprince-Ringuet (Quinoa), Luàna Bajrami (Antilope), Sandrine Briard (Sirène), Oussama Kheddam (Sofiane), Danièle Lebrun (Madeleine), Margot Bancilhon (Claire), Jean-François Cayrey (Marco), Cyril Couton (Conférencier), Aissatou Diallo Sagna (Krankenschwester). Inhalt: Zwei bis über die Ohren verschuldete Franzosen schlagen sich mit kleinen Schummeleien durchs Leben und geraten eher durch Zufall in eine Gruppe militanter Umweltschützer. Sie beteiligen sich an deren Aktionen, allerdings eher in der Absicht, diese für ihre eigenen Zwecke zu nützen. Komödie. (film-dienst 49/2023)
22. Mai 2024: Arte: "Für immer und ewig (2021)" (Frankreich 2021; "SERRE MOI FORT" ). Produzenten: Yael Fogiel, Laetitia Gonzalez, Felix von Boehm, Olivier Père. Regie: Mathieu Amalric. Buch: Mathieu Amalric, nach einer Vorlage von Claudine Galéa. Darsteller: Vicky Krieps (Clarisse), Arieh Worthalter (Marc), Anne-Sophie Bowen-Chatet (Lucie), Sacha Ardilly (Paul), Juliette Benveniste (Lucie als Jugendliche), Aurèle Grzesik (Paul als Jugendlicher), Aurélia Petit (Freundin an der Tankstelle), Erwan Ribard (Makler). Inhalt: Eine zweifache Mutter verlässt von einem Tag auf den anderen ohne Erklärung ihre Familie. Während sie in eine andere Stadt zieht und verschiedene neue Existenzformen ausprobiert, arrangieren sich die Zurückgelassenen mit dem Leben ohne sie. Eines Tages sucht die Frau wieder Kontakt mit Mann und Kindern, die aber haben die veränderte Situation anscheinend akzeptiert. Drama. (film-dienst 19/2024)
Auszeichnungen
Auszeichnungen (Auswahl): "César" (97, 05, 08), Lumière Award (05, 08), Étoile d'Or (05, 08), Beste Regie, Filmfestspiele von Cannes (10), Prix Louis-Delluc (17), Prix Jean Vigo (17), Poetry of Cinema Award, Cannes Film Festival - Un Certain Regard (17).
Mitgliedschaften
A. war Dozent an der Pariser Filmhochschule "La fémis".
Adresse
c/o Zelig, Agence Artistique et litteraire, 57 rue Réaumur, 75002 Paris, Frankreich, Tel.: +33 1 44788110, E-Mail: zelig@zelig-fr.com, Internet: www.agencesartistiques.com