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Jonathan Franzen

Jonathan Franzen

amerikanischer Schriftsteller
Geburtstag: 17. August 1959 Western Springs/IL
Nation: Vereinigte Staaten von Amerika (USA)

Internationales Biographisches Archiv 51/2021 vom 21. Dezember 2021 (fl)
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 23/2022


Blick in die Presse

Herkunft

Jonathan Franzen wurde am 17. Aug. 1959 in Western Springs (Illinois) geboren. Er war der jüngste von drei Söhnen des Bauingenieurs Earl Franzen († 1995) und der Hausfrau Irene, geb. Super († 1999). Die Familie des Vaters stammte aus Schweden, die Mutter hatte osteuropäische Vorfahren. F. wuchs mit seinen Brüdern Bob und Tom in Webster Groves auf, einem Vorort von St. Louis (Missouri).

Ausbildung

F. absolvierte ein Germanistik-Studium am Swarthmore College in Pennsylvania mit Studienaufenthalt in München (1979/1980) und Bachelor-Abschluss (1981). Als Fulbright-Stipendiat studierte er anschließend bis 1982 an der Freien Universität Berlin. Einfluss auf ihn übten insbesondere die Werke von Goethe, Rilke, Franz Kafka und Thomas Mann aus.

Wirken

Erste Romane1983-1987 arbeitete F. in einem seismologischen Labor der Harvard University, wofür er kein spezielles Fachwissen benötigte. In dieser Zeit schrieb er sein Romandebüt "The Twenty-Seventh City" (1988; dt. 2003, "Die 27ste Stadt"). Die dystopische Politsatire über den Verfall seiner Heimatstadt St. Louis erntete zwar viel Kritikerlob, wurde aber kein Publikumserfolg. Ähnlich war es bei F.s zweitem Roman "Strong Motion" (1992; dt. 2005, "Schweres Beben"), einer Liebes- und Familiengeschichte vor dem Hintergrund einer rätselhaften Erdbebenkatastrophe in Boston. Für Aufsehen in der literarischen Welt sorgte sein Essay "Perchance to Dream: In the Age of Images, a Reason to Write Novels" (in: Harper's Magazine, 4/1996). Darin verkündete er das Ende des sozialkritischen US-Romans, da die Leser durch den Einfluss des Fernsehens nicht mehr herausgefordert, sondern nur noch unterhalten werden wollten. Er forderte einen Mittelweg zwischen avantgardistischen, bei der akademischen Elite beliebten Romanen und einer intellektuell unambitionierten Unterhaltungsliteratur und kündigte an, selbst einen ebenso anspruchsvollen wie unterhaltsamen Roman verfassen zu wollen.

Internationaler Durchbruch mit "The Corrections"Der 2001 erschienene Gesellschaftsroman "The Corrections" (dt. 2002, "Die Korrekturen") wurde schließlich ein Weltbestseller. F. erzählt darin von einer fünfköpfigen amerikanischen Mittelklasse-Familie namens Lambert, deren Mitglieder mit ihren Lebensentwürfen auf verschiedene Arten scheitern. Im Gegensatz zu postmodernen Autoren wählte er eine realistische Erzählweise ("Ich will immer noch über Menschen schreiben - weil ich sie kenne"; TSP, 28.1.2002). Gustav Seibt beschrieb den Roman als "befremdliche Mischung von grausigem psychologischen Humor, sozialer Satire und abgründigem Lyrismus" (SZ, 27.1.2002). Das oft mit Thomas Manns "Buddenbrooks" verglichene Buch wurde in den USA überschwänglich gelobt und u. a. 2001 mit dem National Book Awardausgezeichnet. Für Schlagzeilen sorgte auch eine Einladung F.s in die US-Talkshow "Oprah's Bookclub" von Oprah Winfrey, die ihn jedoch nach abfälligen Äußerungen über die sonst im Buchclub besprochenen Titel wieder auslud. "The Corrections" wurde in 35 Sprachen übersetzt und weltweit knapp drei Mio. Mal verkauft. Eine Verfilmung als Fernsehserie wurde 2012 nach dem Scheitern eines Pilotfilms abgesagt.

Romane "Freedom" und "Purity"Nachdem der Suizid seines besten Freundes und Kollegen David Foster Wallace († 2008) vorübergehend eine Schreibkrise bei F. auslöste, erschien 2010 sein Roman "Freedom" (dt. "Freiheit"), der erneut in wechselnden Perspektiven die Geschichte einer amerikanischen Mittelstandsfamilie erzählt. Neben den inneren Konflikten der Berglund-Familie wird auch die politische Geschichte der USA nach den Terroranschlägen vom 11. Sept. 2001 verhandelt. Kritiker empfahlen das Werk als "Fortführung der 'Korrekturen' mit souveräneren Mitteln"; F. schreibe hier "lässiger, leichter, weniger offensichtlich auf Wirkung bedacht" (FAZ, 4.9.2010). Andere hoben neben der Sprachgewalt des Autors die kunstvolle Figurenzeichnung und den sozialen Realismus hervor (Stgt. Z., 19.8.2010). Auch die Chefkritikerin der New York Times, Michiko Kakutani, fand lobende Worte für F.s "galvanic new novel" (15.8.2010). Mit diesem Roman trat er schließlich in "Oprah's Bookclub" auf. Als zweiter lebender Schriftsteller nach Stephen King stand er auf einem Titelbild des TIME-Magazins, das F. als "Great American Novelist" vorstellte (23.8.2010).

Höchstes Erzählniveau bescheinigten die Feuilletons auch F.s Roman "Purity" (2015; dt. "Unschuld"), einer laut US-Verlag "tiefschwarzen Komödie" über jugendlichen Idealismus, maßlose Treue und den Geschlechterkampf. Im Zentrum stehen eine junge Frau auf der Suche nach ihrem Vater und ein ehemaliger DDR-Bürger, der in den USA Karriere als Whistleblower macht. F. beschrieb darin das Internet und das digitale Zeitalter als totalitäres System und moderne Fortsetzung des Sozialismus, was ihm v. a. in Deutschland Kritik wegen Verharmlosung der DDR-Diktatur einbrachte (vgl. ZEIT, 3.9.2015). "Ein komplexer Roman voller Anspielungen und Referenzen, dessen aufwendige Konstruktion fast unsichtbar bleibt", lobte dagegen die Frankfurter Allgemeine Zeitung (29.8.2015). Eine 2016 angekündigte Serien-Verfilmung mit Starbesetzung (Daniel Craig) hat sich auch in diesem Fall - Stand 2021 - nicht realisiert.

RomantrilogieAls Auftakt einer geplanten Trilogie ("A Key to All Mythologies") erschien 2021 der Roman "Crossroads" über die multiplen Krisen der deutschstämmigen protestantischen Pfarrersfamilie Hildebrandt in einem Vorort von Chicago. "Crossroads" heißt hier eine hippieske kirchliche Jugendgruppe, die sich in gruppendynamischer Selbsterkundung übt. Erstmals bei F. spielt die fiktive Handlung nicht in der Gegenwart, sondern Anfang der 1970er Jahre (mit Rückblenden in die 1940er). Mehrere Rezensenten erkannten dennoch Aktualitätsbezüge im Roman, der gleichsam als "amerikanische Mentalitätsgeschichte" die Wandlung von einer gottgläubigen Innerlichkeit in die säkularisierten Identitätsdebatten und Achtsamkeitsbewegungen der Gegenwart sichtbar mache (ZEIT, 30.9.2021; vgl. TSP, 4.10.2021). DER SPIEGEL (2.20.2021) meinte, das Buch schärfe die Sinne für die mythologische Frage, "ob und wie es gelingen kann, das Böse zu bekämpfen", während Sigrid Löffler den "verklemmten Glaubens- und Moralkrisen" der Romanfiguren eher wenig abgewinnen konnte (Deutschlandfunk Kultur, 9.10.2021).

Essays, Autobiographisches und ÜbersetzungenKürzere Prosastücke und Essays, die F. für "Harper's Magazine", "The New Yorker", "The New York Times" oder "The Guardian" schrieb, erschienen auch in mehreren Sammelbänden. Sein erster Essayband "How to be alone"(2002; dt. "Anleitung zum Einsamsein") enthielt laut Kritik "glänzende Zustandsbeschreibungen der amerikanischen Gesellschaft" (FAZ, 26.10.2002), aber auch Autobiographisches. 2006 folgte "The Discomfort Zone" (dt. 2007, "Die Unruhezone"), eine autobiographische Erzählung über eine Jugend im Mittelwesten der USA und ein Erwachsenenleben in New York. Dabei sei "nicht großes Unglück" das Thema, sondern "das kleine Dauerunglück eines unstimmigen Lebensgefühls", schrieb DIE ZEIT (15.3.2007).

Intensive Debatten und heftige "Shitstorms" im Internet lösten F.s Einlassungen zum Thema Klimawandel aus. Seine Überlegungen aus dem zuerst im "New Yorker" (30.3.2015) erschienenen Essay "Carbon Capture" (dt. als Buch 2015, "Die Klima-Klemme") führte er fort in den Bänden "Das Ende vom Ende der Welt" (dt. 2019) und "Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?" (dt. 2020). F., der auch ein passionierter Hobby-Ornithologe ist, zog eine Trennlinie zwischen Klimaaktivisten und Umweltschützern, störte sich an den "eschatologischen" Kampagnen der Klimaschützer und forderte, die Krise der Artenvielfalt mehr zu beachten bzw. nicht nur als Folge des Klimawandels abzutun. Seit 30 Jahren wisse man um die Probleme der Erderwärmung, dennoch erreichten die globalen Treibhausgas-Emissionen immer neue Rekordhöhen. Da die Klimakatastrophe nicht mehr aufzuhalten sei, plädierte F. für eine Prioritätenverschiebung von unrealistischen Emissionsreduktionszielen auf das Machbare im Hier und Jetzt, z. B. den Artenschutz in der eigenen Umgebung oder Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung.

F. hat auch deutsche Werke ins Englische übertragen. Enttäuscht von einem New Yorker Musical, das auf Frank Wedekinds "Frühlings Erwachen" basierte, veröffentlichte er 2007 seine bereits 1986 für das Swarthmore College getätigte Neuübersetzung des Dramas ("Spring Awakening"). Für den Band "The Kraus Project" (2013) übersetzte er drei Essays des Wiener Sprach- und Kulturkritikers Karl Kraus (1874-1936) und versah sie mit sehr persönlichen Fußnoten.

Lesereisen, Vorträge und EngagementAls gefragter Autor absolvierte F. zahlreiche Lesereisen, auch in Deutschland. 2009 trat er in Berlin mit einem erstmals auf Deutsch gehaltenen Vortrag über "Sex, Literatur und die deutsche Sprache" auf und übernahm die Tübinger Poetik-Dozentur (zusammen mit Daniel Kehlmann und dem US-Kollegen Adam Haslett). In den USA engagierte er sich für den Umwelt- und Naturschutz, v. a. mit Reportagen zu diesen Themen. Politisch ergriff er Partei gegen den republikanischen US-Präsidenten George W. Bush (2001-2009) bzw. für die demokratischen Kandidaten John Kerry (2004) und Barack Obama, der Bush ablöste. Mit dem Einzug des Republikaners Donald Trump ins Weiße Haus 2017 sah F. die Satire von der Realität überholt (theguardian.com, 25.9.2021). Trump habe immer "den Narzissmus der Konsumgesellschaft verkörpert", insbesondere den "infektiösen Narzissmus sozialer Medien", lautete F.s Urteil über den Präsidenten, der 2020 trotz Wahlniederlage nicht abtreten wollte (WELT, 21.11.2020).

Familie

F. wohnt mit seiner Lebensgefährtin, der Autorin Kathryn Chetkovich, im kalifornischen Santa Cruz. Zuvor lebte er in New York und war ab 1982 mit der Schriftstellerin Valerie Cornell verheiratet, von der er sich 1994 trennte. Als bekennender Vogelliebhaber und -beobachter wählte F. seine Reiseziele zunehmend danach aus, ob sie "ornithologisch ergiebig sind" (TSP, 10.3.2007).

Werke

Veröffentlichungen u. a.: "The Twenty-Seventh City" (88; dt. 03, "Die 27ste Stadt"; Roman), "Strong Motion" (92; dt. 05, "Schweres Beben"; R.), "The Corrections" (01; dt. 02, "Die Korrekturen"; R.), "How to be alone" (02; dt. "Anleitung zum Einsamsein"; neu 07, "Anleitung zum Alleinsein"; Ess.), "The Discomfort Zone. A Personal History" (06; dt. 07, "Die Unruhezone. Eine Geschichte von mir"), "Freedom" (10; dt. "Freiheit"; R.), "Are we feeling better now? Fiktion und Autobiographie" (10; m. Adam Haslett; Tübinger Poetikvorl.), "Farther Away" (12; dt. 13, "Weiter weg"; Ess.), "Purity" (15; dt. "Unschuld"; R.), "Carbon Capture" (15, in: The New Yorker; dt. "Die Klima-Klemme"; Ess.), "The End of the End of the Earth" (18; dt. 19, "Das Ende vom Ende der Welt"; Ess.), "What if We Stopped Pretending?" (19, in: The New Yorker; dt. 20, "Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?"; Ess.), "Crossroads" (21; R.). Übersetzungen: "Spring Awakening" (07), "The Kraus Project" (13).

Literatur

Literatur u. a.: Sibylle Freitag: "The return of the real in the works of Jonathan Franzen" (09), Philip Weinstein: "Jonathan Franzen. The comedy of rage" (15). Film: Marion Kollbach: "Fünf Tage mit Jonathan Franzen" (12; Arte).

Auszeichnungen

Auszeichnungen u. a.: Whiting Award (88), Guggenheim-Stipendium (96), Granta's Best of Young American Novelists (96), Berlin Prize/American Academy in Berlin (00), National Book Award (01), Salon Book Award (01; 10), James Tait Black Memorial Prize (02), Ehrendoktorat Swarthmore College (05), International Author of the Year/Galaxy National Book Awards (10), kulturnews Award (10), Heartland Prize (11), John Gardner Award (11), Carlos Fuentes Medal (12), "WELT"-Literaturpreis (13), Budapest Grand Prize (15), EuroNatur-Preis (15), Frank-Schirrmacher-Preis (17).

2022: Jonathan Franzen wird der mit 25.000 Euro dotierte Thomas-Mann-Preis der Hansestadt Lübeck und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste zugesprochen.

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften u. a.: American Bird Conservancy (Vorstand; ab 08), Akademie der Künste in Berlin (ab 10), American Academy of Arts and Letters (ab 12), American Academy of Arts and Sciences, Ordre des Arts et des Lettres (ab 12).

Adresse

c/o Steven Barclay Agency, 12 Western Avenue, Petaluma, CA 94952, U.S.A., Tel.: +1 707 7730654, E-Mail: info@barclayagency.com, Internet: http://www.barclayagency.com

c/o Rowohlt Verlag GmbH, Kirchenallee 19, 20099 Hamburg, Tel.: 040 7272-0, E-Mail: info@rowohlt.de, Internet: www.rowohlt.de

Internet: www.jonathanfranzen.com



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