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MUNZINGER Sport

Lia Manoliu

rumänische Leichtathletin (Diskuswurf) und Sportfunktionärin
Geburtstag: 25. April 1932 Chisinau
Todestag: 9. Januar 1998 Bukarest
Klassifikation: Wurf (Leichtathletik), Sportfunktionär
Nation: Rumänien
Erfolge/Funktion: Olympiasiegerin 1968
Olympiadritte 1960, 1964
sechsmalige Olympiateilnehmerin
NOK-Präsidentin Rumäniens

Internationales Sportarchiv 17/1998 vom 13. April 1998 (st)


Am 9. Januar 1998 starb in Bukarest die frühere Olympiasiegerin im Diskuswerfen, Lia Manoliu. Im Notfallkrankenhaus der rumänischen Hauptstadt erlag die sechsmalige Olympiateilnehmerin den Folgen einer Gehirnblutung. Zwischen 1952 und 1972 kam sie jeweils unter die besten zehn Diskuswerferinnen bei den Olympischen Sommerspielen. Auch nach ihrer Karriere als Leistungssportlerin galt die Ingenieurin für Elektrotechnik als "First Lady in Rumäniens Sport" (Sportecho, 16.12.1980), denn als langjährige Vizepräsidentin und Präsidentin des Nationalen Olympischen Komitees sowie als Vizepräsidentin des Nationalrates für Körperkultur und Sport stellte sie entscheidende Weichen im Sport ihres Heimatlandes.

Laufbahn

Lia Manoliu stammt aus einer Lehrerfamilie. Beide Eltern unterrichteten Philosophie an einem Gymnasium in Bukarest. Als Kind war die spätere Olympiasiegerin schwächlich und kränklich. Der Arzt verordnete ihr früh Bewegung. So kam sie zum Sport, spielte zunächst Tischtennis und Basketball im Universitätssportverein Bukarest. Als 15jährige Schülerin begann sie mit der Leichtathletik. Zwei Jahre später, im Frühjahr 1949, startete sie ihre Karriere im Diskuswerfen. Mit 23,24 m wurde ihr erster Wurf vermessen. Trainer Ion Arnautu führte sie an die internationale Klasse heran, obwohl sie zunächst nur zweimal pro Woche trainierte. "Ich war die erste Frau Rumäniens, die das Gewichtheben einführte, mit 20- und 30-Kilo-Hanteln im Training arbeitete", erzählte Lia Manoliu später.

Dank dieses Trainings gehörte sie schon 1952 zum Olympiaaufgebot Rumäniens bei den Sommerspielen in Helsinki. Doch der sechste Rang mit einer Weite von 42,65 m bei der Olympiapremiere löste in der Heimat eher Enttäuschung aus. Vier Jahre später in Melbourne wurde sie Olympianeunte, 1960 in Rom gewann sie ihre erste Medaille: Mit 52,36 m holte sie Bronze. "Die Technik vervollkommnete sich, man lernte von anderen. Die Furcht vor den großen Weiten, die uns Anfang der 50er Jahre mitunter befiel, schwand. Das alles trieb mich auch weiter", war sich die Rumänin bewußt. Seit frühester Jugend führte sie Tagebuch über alle wichtigen Ereignisse.

Auch 1964 in Tokio gewann sie die Bronzemedaille. Trotz einer Leistungssteigerung um über viereinhalb Meter gegenüber den Spielen von Rom belegte sie erneut Platz drei. Vor den Olympischen Spielen 1968 in Mexico City schien sie ohne Chancen zu sein. Gut eine Woche vor der Diskusentscheidung zog sie sich eine Ellenbogenverletzung zu: "Ich konnte nicht die Finger bewegen, nicht einmal den Löffel halten. Ich hatte große Schmerzen", beschrieb sie ihre Probleme: "An Training war überhaupt nicht zu denken, sechs Nächte habe ich kaum geschlafen. Die Ärzte meinten, ich könnte einen Wurf probieren." In dieser scheinbar ausweglosen Situation half ihr das Glück. Weil nur 14 Diskuswerferinnen gemeldet hatten, entfiel in Mexico City die Qualifikation. So kam sie in die Entscheidung um Gold: "Ich betrat den Ring, wußte: Ein Versuch, der mußte gelingen. 58,28 m, Olympiarekord, nur ein Meter weniger als mein Bestwert. Das reichte." Mit neuem olympischem Rekord gewann sie im fünften Anlauf erstmals olympisches Gold.

Im Winter nach dem Olympiasieg erkrankte die 1,79 m große und 85 kg schwere Rumänin schwer und verlor 17 kg Körpergewicht. Dank ihrer Zähigkeit gelang ihr das Comeback. Bei den Europameisterschaften 1969 belegte sie mit einem Wurf von 57,38 m Platz vier. 1972 in München nahm sie zum sechsten Mal an Olympischen Spielen teil und rückte damit in die Reihe olympischer Ausnahmeathletinnen auf. Mit einer Weite von 58,50 m und Rang neun kam sie zum sechsten Mal unter die zehn Weltbesten bei Olympischen Spielen.

Der Erfolg der inzwischen 40jährigen Werferin in München war ein Beweis ihrer Willenskraft. Der Erfolg nach der schweren Erkrankung war für sie eine wichtige Erfahrung: "Solche Rückschläge wünscht man keinem Sportler. Aber sie prägen einen Menschen. Es bleibt ja eigentlich kaum jemand von Enttäuschungen verschont, und man lernt im Sport, sie zu überwinden." Zwanzig Jahre lang gehörte die 12malige rumänische Titelträgerin und 7malige Balkanmeisterin zu den weltbesten Diskuswerferinnen. "Die Fortschritte Schritt für Schritt" reizten sie besonders, so lange aktiv zu bleiben. Auch nach Abschluß ihrer Leistungssportkarriere stellte sie sich in den Dienst des Sports.

1973 wurde sie zur Vizepräsidentin des rumänischen Sportrats und Vizepräsidentin des Nationalen Olympischen Komitees ernannt. Im Sportrat (CNEFS) zeichnete sie verantwortlich für den Frauensport, Leichtathletik und Rudern. 1974 wurde sie auch Vizepräsidentin des rumänischen Leichtathletik-Verbandes. Auf internationaler Ebene kämpfte sie für die Gleichstellung der Frauen. "In internationalen Föderationen haben wir noch einen erheblichen Nachholbedarf; im IAAF-Vorstand, im IOC ist nicht eine Frau vertreten", protestierte sie 1980. Gleichberechtigung verstand sie stets auch als Wahrnehmung von Verantwortung. Ihre internationale Wertschätzung dokumentierte sich in der Überreichung des Fair-Play-Preises durch die Unesco im Jahre 1974 in Paris. "Die Jury ehrt mit diesem Preis eine Leichtathletin, die stets Redlichkeit sowie echten sportlichen Geist bewies und deren ganze Sportlerlaufbahn im Zeichen des Fair Play stand", hieß es in der Laudatio.

Vor allem in der Zeit nach der politischen Wende in Europa bewies Lia Manoliu eindrucksvoll Verantwortungsbewußtsein und Engagement. Im März 1990 wurde sie zur neuen NOK-Präsidentin Rumäniens gewählt. Schon drei Tage nach der Revolution vom 22. Dezember 1989 wollte man sie zur Sportministerin machen. Doch Manoliu lehnte ab, übernahm aber den NOK-Vorsitz. Zudem zog sie auf Initiative von Staatspräsident Iliescu als Parteilose in den Senat ein. Als einzige Frau war sie vor allem mit der Ausarbeitung einer neuen Staatsverfassung beschäftigt.

Trotz der vielfältigen Funktionen lehnte sie alle Privilegien ab. Sogar das ihr zustehende Gehalt nahm sie nicht an und begnügte sich mit dem um 50 % geringeren NOK-Lohn. Den Verzicht begründete sie damit, sie wolle das Gefühl haben, ihre Freiheit und Unabhängigkeit zu bewahren. "Sie, die fünf Sprachen spricht, verdient soviel wie ein Teepflücker in Kenia", merkte die Süddeutsche Zeitung dazu an.

Kritisch ging sie mit den Verhältnissen in ihrem Heimatland unter Diktator Ceausescu ins Gericht: "Keine Bücher, keine Musik. Nicht zu wissen, was in der Welt passierte. Darum bin ich böse." Zugleich aber machte sie auf die Gefahren der neuen Ära aufmerksam: "Die jungen Leute haben keine konkrete Vision, statt dessen: Geld und keine Moral. Das Geld verführt mehr als die Ideologie. Ich sehe kein Happy-End. Geld ist eine Droge. Man kann sie nicht stoppen" (SZ, 20.9.1990).

Lia Manoliu führte demokratische Strukturen in den Sportverbänden ein. Sie nutzte ihre guten internationalen Verbindungen, um dem rumänischen Sport weiterzuhelfen. Sie schloß Verträge ab und richtete mit Unterstützung aus dem Ausland 23 regionale Sport- und Trainingszentren ein. Als Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees genoß sie Hochachtung. Ihr Appell, "physische und moralische Qualitäten, internationale Freundschaft und gegenseitige Hilfe durch den Sport zu fördern" (dpa, 2.3.1990) verhallte nicht ungehört. Dennoch hinterläßt die rührige NOK-Präsidentin nach ihrem unerwarteten Tod ein Sportland mit großen Problemen.

Persönliches

Neben ihrer sportlichen Laufbahn widmete sich Lia Manoliu stets auch ihrem Beruf. Mit einer Arbeit über den "Entwurf einer Gleichrichterstation" erwarb sie den Titel Diplomingenieurin für Elektrotechnik. In ihrer Freizeit war sie eine "femme de lettre". Ihre Bibliothek zählte über 3.000 Bände. Musikalisch schätzte sie vor allem die Werke Johann Sebastian Bachs. Schlimmer als die materielle Not empfand sie in der Ceausescu-Ära die "Stumpfheit des Geistes". Die Tochter von Philosophie-Lehrern wurde geschätzt als Diskussionspartnerin in aller Welt. In Olympia hielt sie während der Olympischen Akademie 1973 einen vielbeachteten Vortrag über das Thema "Der Sport hat mich gewählt".

Karriere in Zahlen

Erfolge

Olympische Spiele:

1952: Sechste
1956: Neunte
1960: Dritte
1964: Dritte
1968: Siegerin
1972: Neunte

Europameisterschaften:

1969: Vierte

Balkanmeisterschaften:

7x Siegerin

Landesmeisterschaften:

12x Siegerin



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