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MUNZINGER Personen

Ingomar von Kieseritzky

deutscher Schriftsteller und Hörspielautor
Geburtstag: 21. Februar 1944 Dresden
Todestag: 5. Mai 2019 Berlin
Nation: Deutschland - Bundesrepublik

Internationales Biographisches Archiv 05/2020 vom 28. Januar 2020 (sb)


Blick in die Presse

Herkunft

Ingomar von Kieseritzky wurde 1944 in Dresden geboren und entstammte einem baltischen Adelsgeschlecht.

Ausbildung

K. besuchte die Schulen in Stadthagen/Niedersachsen, Freiburg, Königsfeld und auf der Nordseeinsel Langeoog.

Wirken

Berufliche AnfängeDie Berufstätigkeit begann K. als Requisiteur im Goetheanum, dem Zentrum der Anthroposophen in Dornach bei Basel. Er arbeitete dann als Buchhändler in West-Berlin und Göttingen und ließ sich 1971 als freier Schriftsteller in Berlin nieder. 1973 erhielt er ein Stipendium der West-Berliner Akademie der Künste.

EinordnungBekannt wurde K. als experimenteller Prosaist und Hörspielautor, der seine Arbeiten meist im fantastisch-grotesk Absurden ansiedelte und immer wieder Wissenschaftssatire und Sprachexperimente zu literarischen Verwirrspielen verband. So wurde K.s Romanerstling "Ossip und Sobolev oder Die Melancholie" (1968) von Helmut Heißenbüttel in dessen Nachwort zum Buch als eine "Erzählung, die erzählt, was nicht passiert ist oder passieren wird, was nicht vorgekommen ist und nicht vorkommt, in der das, was in ihr passiert, sich gleichgültig verhält gegen das, was außerhalb von ihr passieren kann" beschrieben. Nach Kritikermeinung galt K. als einer der wenigen großen Humoristen und Literaten in Deutschland (vgl. SZ, 18.7.1999). Von Kindheit an war er ein Bewunderer der Comic-Figur Donald Duck.

RomanschriftstellerBei der Literaturkritik fand K.s dritter Roman "das eine wie das andere" (1971) viel Beachtung, der sich um die Beschreibung eines abstrusen pseudowissenschaftlichen Experiments dreht und die Rezensenten vor viele Fragen stellte. So schrieb Helmut Scheffel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (12.10.1971): "Ist das Ganze ein aberwitziger Traum - 'Traumschaum', wie es mit einer hübschen Wortbildung an einer Stelle heißt? Ausgeburt einer pervertierten Fantasie? Höhnende Absage an das Humane? - Wenn nicht die konsequente, das Irrationale bändigende Methode wäre, wenn es nicht den grimmigen Humor gäbe, mit dem der Aberwitz geschildert ist, wenn sich nicht in dem Produkt der Imagination so deutlich Spuren eines konkreten Weltzustandes fänden. Ein irritierendes, beunruhigendes Buch von einer kunstvoll lakonischen Ironie."

Von einem Fall "elementarer Antriebslosigkeit" berichtet sein vierter Roman "Trägheit oder Szenen aus der vita activa" (1978), und um eine ungewöhnliche Leidenschaft dreht sich der Band "Obsession. Ein Liebesfall" (1984). Gemeinsam mit Karin Bellingkrodt formulierte er dann skurrile erotische Dialoge mit dem Titel "Tristan und Isolde im Wald von Moros oder Der zerstreute Diskurs" (1987). Der bis dato größte literarische Erfolg gelang K. mit "Das Buch der Desaster" (1988), das die Fachkritik als eine gelungene Satire auf das Menschliche feierte. Einer der Helden dieses Romans ist Brant, Autor von zahlreichen Büchern über positives Denken und hochsensibler Hypochonder, der an einem eingebildeten Kehlkopfkrebs "erkrankt". Sein nahes Ende vor Augen, bringen ihm nur die ganz unglaublichen Chaosberichte und Katastrophenerzählungen aus dem Leben des Fiaskospezialisten Kelb Linderung.

In K.s Roman "Anatomie für Künstler" (1989) versucht der einbeinige Max Marun, ein ehemaliger Antiquar, sein Leben und die von ihm begangenen Morde zu rekonstruieren, und im Mittelpunkt des kontrovers beurteilten Romans "Der Frauenplan. Etüden für Männer" (1991) steht ein tragisch-komischer Antiheld, dem das Leben trotz aller ordnenden Versuche zum Slapstick gerät. Als "intellektuelles Vergnügen" feierte Freitag (24.5.1996) den 1996 erschienenen K.-Band mit zehn witzigen Erzählungen, "Unter Tanten und andere Stillleben", mit dem er sich nach Einschätzung von Ludwig Harig (ZEIT) "auf der Höhe seine Kunst" zeigte. "Stilistisch und sprachlich in bester Form" zeigte er sich nach Eberhard Falckes Einschätzung (SZ, 18.7.1999) auch in seinem "abgrundkomischen" Roman "Kleiner Reiseführer ins Nichts", in dem wieder einmal ein "von geistigem Stoff durchdrungener Allround-Versager unterwegs" ist. Eine weitere Folge "seiner vielteiligen Comédie humaine über das ewige menschliche Scheitern" (SZ, 29.8.2001) legte er mit dem autobiographisch durchwirkten Familienroman "Da kann man nichts machen" (2001) um den letzten Spross eines baltischen Adelsgeschlechts vor, der mit einem Roman seine desaströse Finanzlage zu verbessern hofft. Auch sein zuletzt erschienener Roman "Traurige Therapeuten" (2012) schloss laut FAZ (17.2.2014) in diesem Sinne an seine Vorgänger an. Wie schon viele vor ihm zählt auch Max Singram aus den "Traurigen Therapeuten" zu jenen Protagonisten, die "im Scheitern zu sich selbst finden und mit diesem Scheitern im Reinen sind".

HörspielautorK. veröffentlichte neben seinen Romanen auch über hundert Hörspiele. Für die ambitionierte und unterhaltsame Satire "Compagnons und Concurrenten oder Die wahren Künste", in der er eine skurrile Literatenrunde nach Goethes Tod in Weimar diskutieren lässt, bekam er 1996 den renommierten Hörspielpreis der Kriegsblinden.

Familie

Am 5. Mai 2019 starb K. im Alter von 75 Jahren in Berlin.

Werke

Hörspiele u. a.: "Pâte sur Pâte. stimmen-bilder" (69), "Zwei Systeme" (70), "das maus-hoffender-mellnikow-System" (70), "abweichung und kontrolle" (72), "Zodiac und modiac oder eine verbesserung von herrn levell" (72), "das attribut" (74), "der traum als dictionaire oder Est et Non" (75), "morbus meyerson oder die deformation" (77), "plotonismus II oder die tugend" (78), "Einige Philosophen im Club oder Wie man Fragen stellt" (80), "Dilemma" (82), "Vernünftige Träume" (83), "Hiob oder die Freuden des Alters" (84), "Sulzer oder die Theologie der Erfrischung" (85), "Der Desaster-Club" (85), "Literatur des Lebens" (85), "Korridor 2009 oder die Dekompensation" (89), "Katzenfutter" (92), "Aktenlos oder Der Hamster im Laufrad" (93), "Auch Mäuse haben Parasiten oder Ein Haus wird besetzt" (95), "Mord in der Villa Massimo" (96), "Compagnons und Concurrenten oder Die wahren Künste" (96), "Dogs & Underdogs" (97), "Das Gefühlslabor" (97), "Der Analog" (98), "Cogito in vitro" (99), "Schatzi oder dem Tier ist das Menschliche nicht fremd" (99), "Fin de Partie" (00), "Insel der Erzähler" (00), "Menagerie" (01), "Wie man auf den Hund kommt oder Armer Ritter" (01), "Verwandte Seelen - Und was man dagegen tut" (01), "Gastspiele mit Meerblick" (03), "Fortune oder Die Tücke des Objects" (03), "Lässliche Sünden" (05), "Flohzirkus" (08), "Schöne Künste" (10), "Letzte Wohnung vor der Kiste" (15).

Veröffentlichungen u. a.: "Ossip und Sobolev oder Die Melancholie" (68), "Tief oben" (70; Roman), "das eine wie das andere" (71; Roman), "Trägheit oder Szenen aus der vita activa" (78; Roman), "Die ungeheuerliche Ohrfeige oder Szenen aus der Geschichte der Vernunft" (81), "Obsession. Ein Liebesfall" (84), "Das Buch der Desaster" (88; Roman ), "Anatomie für Künstler" (89; Roman), "Der Frauenplan. Etüden für Männer" (91), "Der Sinnstift. Hörspiele" (93), "Unter Tanten und andere Stillleben" (96), "Kleiner Reiseführer ins Nichts" (99; Roman), "Da kann man nichts machen" (01; Roman), "Traurige Therapeuten" (12; Roman).

Auszeichnungen

Auszeichnungen u. a. : Förderungspreis für Literatur des großen Kunstpreises von Niedersachsen (1970), Stipendium Kunstpreis Berlin (1973), Stipendium Villa Massimo (1979), Bremer Literaturpreis (1989), Montblanc-Literaturpreis (93), Arbeitsstipendium des Deutschen Literaturfonds (96), Hörspielpreis der Kriegsblinden (96), Alfred-Döblin-Preis (97), Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (99), Alfred-Döblin-Stipendium (06), Stadtschreiber von Bergen-Enkheim (06).

Mitgliedschaften

Mitgliedschaft: Akademie der Künste Berlin (ab 98).



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