MUNZINGER Wissen, das zählt | Zurück zur Startseite
Wissen, das zählt.


MUNZINGER Personen
Kurt Vonnegut

Kurt Vonnegut

amerikanischer Schriftsteller
Geburtstag: 11. November 1922 Indianapolis/IN
Todestag: 11. April 2007 New York/NY
Nation: Vereinigte Staaten von Amerika (USA)

Internationales Biographisches Archiv 41/2007 vom 13. Oktober 2007 (gi)
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 51/2014


Blick in die Presse

Herkunft

Kurt Vonnegut wurde 1922 als jüngstes von drei Kindern eines erfolgreichen deutschstämmigen Architekten und einer vermögenden Bierbrauers-Tochter in Indianapolis geboren, doch verlor die Familie in den schweren Depressionsjahren einen Großteil ihres Vermögens, wovon sich die Eltern auch psychisch nicht mehr erholten. Die Mutter beging im Mai 1944 Selbstmord, der Vater starb 1957. Auch V. selbst soll zweimal einen Selbstmordversuch unternommen haben.

Ausbildung

Nach seinem Schulabschluss an der Shortridge High School begann V. 1940 ein Studium der Biochemie an der Cornell University in Ithaca. 1942 zum Wehrdienst in der US Army eingezogen und nach einer Mechanikerausbildung am Carnegie Institute of Technology und an der University of Tennessee bei der Infanterie eingesetzt, wurde er drei Monate nach dem Selbstmord seiner Mutter 1944 nach Europa verlegt und geriet schließlich im Dez. 1944 in den Ardennen in deutsche Gefangenschaft. Als Kriegsgefangener in einem Schlachthaus in Dresden untergebracht, erlebte er am 13. Febr. 1945 auch den amerikanisch-britischen Bombenangriff, der - einhergehend mit einem Feuersturm - die Stadt in Schutt und Asche legte und binnen kürzester Zeit Zehntausende von Todesopfern forderte. Nach der Besetzung Dresdens durch sowjetische Truppen kam V. frei und kehrte im April 1945 in die USA zurück. 1945-1947 studierte er Anthropologie an der University of Chicago, erhielt aber erst 1971 für seine spätere schriftstellerische Arbeit den Grad eines Masters of Arts (M.A.), nachdem seine Abschlussarbeit von 1947 noch als nicht graduierungswürdig abgelehnt worden war.

Wirken

Bereits ab 1946 arbeitete er als Polizeireporter für das Chicago City News Bureau. Von 1947 bis 1950 war er als PR-Mann für die Forschungsabteilung der New Yorker General Electric Corp. tätig. Seit 1950 arbeitet er als freier Schriftsteller, übernahm aber zwischendurch immer wieder Lehraufträge (im Fachgebiet "writing"), so von 1965 bis 1967 an der University of Iowa, 1970/1971 an der Harvard University und 1973-1974 als "verdienter Prof. für englische Prosa" an der New Yorker City-Universität.

V., in dessen Werken sich Elemente der Science-Fiction gekonnt mit einem an Mark Twain erinnernden, wenn auch oft verspielt-bitteren schwarzen Humor vereinen, ist als sarkastischer Schilderer des amerikanischen Normbürger-Alltags und seiner Wunschvorstellungen bekannt geworden. Charakteristisch dabei ist auch die Einbettung ernster Themen (Einsamkeit, soziale Ungleichheit, Naturzerstörung) in mehr oder weniger bizarre Rahmenhandlungen (z. B.: Menschheitsgeschichte als subtil gelenkter Prozess zur Herstellung eines kleinen Ersatzteils für ein notgelandetes UFO in "Die Sirenen von Titan", evolutionstechnischer Fehlschlag der Großgehirnentwicklung und Rückkehr des Homo sapiens ins Meer in "Galápagos"). Auf dem amerikanischen Büchermarkt sind viele seiner Bücher zu Bestsellern geworden. Zeitweilig war er ein Kult-Schriftsteller der jungen amerikanischen Generation, während er in der Bundesrepublik trotz etlicher Übersetzungen bislang relativ unbekannt geblieben ist.

Als V.s berühmtestes und einflussreichstes Werk gilt sein sechster Roman "Slaughterhouse-Five, or The Children's Crusade; A Duty-Dance with Death" (1969), in dem er die eigenen Erfahrungen und das Trauma von der Zerstörung Dresdens literarisch verarbeitet - ein Trauma, dem sich der Protagonist des Romans durch eine Reise auf den Planeten Trafalmadore zu entziehen sucht. Die besondere Machart und der Tenor von V.s Werken sind in Zusammenhang mit diesem Trauma zu denken, das, so Thomas Klingenmaier in Sonntag Aktuell (21.2.1999), V. zweierlei gelehrt habe: "dass der Untergang der Menschheit möglich war und dass sich von solchen Katastrophen, von solch einem aberwitzigen Jahrhundert nicht mit den Mitteln des brav realistischen Romans erzählen ließe." Auf der Höhe des Vietnamkrieges publiziert und 1972 von George Roy Hill verfilmt, machte "Schlachthof 5" V. gleichsam über Nacht zu einem der Idole der studentischen Gegenkultur.

V.s bislang wohl ehrgeizigstes, längstes und unvermittelt politischstes Buch war "Jailbird", eine bittere Anklage gegen das amerikanische politische System und die es beherrschende Klasse, bei der Verfehlungen der jüngeren Zeit wie die Watergate-Affäre, der McCarthyismus oder die Verfahren gegen Sacco und Vanzetti immer wieder mit Aussagen der Bergpredigt konterkariert werden. Der Niedergang der amerikanischen Gesellschaft blieb auch Thema weiterer Werke von V., in "Hocus Pocus" (1990) beispielsweise sogar stellvertretend für die westliche Zivilisation schlechthin. In der im Jahre 2001 angesiedelten Erzählung beschreibt er den Zerfall der natürlichen Umwelt ebenso wie der sozialen und wirtschaftlichen Ordnung. Für den Rezensenten der Nation (15.10.1990) war "Hocus Pocus" V.s seit Jahren bestes Buch.

Auch "Timequake", in dem V. sich vorstellt, wie es wäre, wenn man - ausgelöst durch ein "Zeitbeben" - ein bereits gelebtes Jahrzehnt bewusst, aber ohne die Möglichkeit, irgendetwas an dem bisherigen Ablauf zu ändern, noch einmal leben müsste, besticht v. a. als zeitkritisches Brevier. Apostrophiert als Roman wird das Werk von V. selbst jedoch eher als Verwertungsergebnis seiner Trümmer, als Rest eines Romans beschrieben, der in der ursprünglich geplanten Fassung nicht funktioniert habe, woraufhin nun nur die Filetstücke aufgenommen seien. Diese nun sind in typischer V.-Manier verknüpft mit einem "wunderbar spöttischen Mix aus Anekdoten, Zoten und Witzen, Aphorismen, Erinnerungen, Fantasie- und Denkspielen" (NZZ, 5./6.12.1998).

Einen netten Versuch, V.s Erzählhaltung zu charakterisieren, bot Dieter Thomä in seiner "Zeitbeben"-Rezension in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die er mit den Sätzen eröffnete: "Als die Welt fast fertig und Gott mehr denn je zu Streichen aufgelegt war, griff er in die Bottiche mit Tiefsinn, Frohsinn, Schwachsinn und Gemeinsinn, mischte alles zu gleichen Teilen, und fertig war Kurt Vonnegut. Während Gott meinte, dass es gut war, was er zu Stande gebracht hatte, war sich Vonnegut nicht so sicher - weder was ihn selbst noch was die Welt betraf" (FAZ, 2.11.1998).

Eine Zusammenstellung von 23 frühen Kurzgeschichten von V. findet sich in dem 1999 veröffentlichten Sammelband "Bagombo Snuff Box. Uncollected Short Fiction", von denen 15 unter dem Titel "Suche Traum, biete mich" und übersetzt von Harry Rowohlt auch in deutscher Ausgabe erschienen. Wenn diese Geschichten, geschrieben für und abgedruckt in verschiedenen Magazinen jener Zeit, literarisch nicht das Niveau seiner späteren Arbeiten erreichten, so bieten sie nach überwiegender Meinung des Feuilletons doch durchaus gehobenen und amüsanten Lesestoff. Groteske "Rundfunkreportagen aus dem Jenseits" über seine Gespräche mit verschiedenen verstorbenen Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, erfunden und geführt für den nichtkommerziellen New Yorker Rundfunksender WNYC, präsentierte V. in dem 2000 erschienenen Band "God Bless You, Dr. Kevorkian" (2000). "Vonneguts Satire", so der Rezensent der WELT (20.3.2004), "ist erbarmungslos und gemein, sein Witz ist von der Sorte, die den Leser erblassen lässt."

In verschiedenen Essays und Interviewbeiträgen präsentierte sich V. auch als entschiedener und scharfzüngiger Kritiker der amerikanischen Regierung unter Präsident George W. Bush. Bezüglich der Anti-Terror-Strategie der US-Administration nach den von Islamisten verübten Anschlägen in New York und Washington vom 11. Sept. 2001 und des Krieges gegen den Irak sprach er von "fortgeschrittenen Fällen geistigen Irrsinns" (vgl. Interview in FR, 2.11.2002). Seine zornige wie wehmütige Klage über den Niedergang der politischen Kultur formulierte er noch einmal mit dem ihm eigenen Sarkasmus in seinem letzten, ein Jahr vor seinem Tod publizierten "großartigen Gedankenbilderbuch" (ZEIT, 19.4.2007) "A Man without a Country" (2006).

Familie

Am 11. April 2007, im Alter von 84 Jahren, ist V. in New York an den Folgen einer Hirnverletzung, die er sich bei einem Sturz einige Wochen zuvor in seiner Wohnung in Manhattan zugezogen hatte, gestorben. Er war in erster, geschiedener Ehe von 1945 bis 1979 mit Jane Marie Cox verheiratet, die er schon seit dem Kindergartenalter kannte. Aus dieser Ehe stammten die Kinder Mark (* 1947), Edith (* 1949) und Nanette (* 1954). Außerdem adoptierte das Ehepaar die Neffen James, Stephen und Kurt Adams, Kinder von V.s 1958 an Krebs verstorbener Schwester Alice.

1979 heiratete V. in zweiter Ehe die fr. Fotografin Jill Krementz, mit der er eine wiederum adoptierte Tochter Lily (* 1982) hatte. 1991 reichte das Paar die Scheidung ein, zog sie dann aber wieder zurück. Für Schlagzeilen sorgte im Febr. 2000 ein Brand in V.s New Yorker Wohnung an der Upper East Side Manhattans, den er letztlich unbeschadet überstanden hatte. Vernichtet wurde allerdings ein Teil seines privaten Archivs. Zu V.s Hobbys zählten u. a. das Segeln, Malen, Holzschnitzen und Schach spielen. Darüber hinaus spielte er Klarinette.

Werke

Werke/Romane: "Player Piano" (51; dt. 64, Das höllische System), "Sirens of Titan" (59; dt. 79, Die Sirenen von Titan), "Mother Night" (61; dt. 88, Mutter Nacht; verfilmt 96), "Cat's Cradle" (63; dt. 85, Katzenwiege), "God Bless You, Mr. Rosewater" (65; dt. 68, Gott segne Sie, Mr. Rosewater), "Slaughterhouse-Five, or The Children's Crusade" (69; dt. 70, Schlachthof Fünf oder Der Kinderkreuzzug; verfilmt 72), "Breakfast of Champions" (73; dt. 74, Frühstück für starke Männer; verfilmt 98), "Slapstick or Lonesome No More" (76; dt. 77, Slapstick oder Nie wieder einsam), "Jailbird" (79; dt. 80, Galgenvogel), "Dead-Eye Dick" (82), "Galápagos" (85; dt. 87), "Bluebeard" (87; dt. 89, Blaubart), "Hocus Pocus" (90), "Timequake" (97; dt. 98, Zeitbeben).

Kurzgeschichtensammlungen: "Canary in a Cat House" (61), "Welcome to the Monkey House" (68; Kurzgeschichten, dt. 71, Geh zurück zu deiner lieben Frau und deinem Sohn), "Bagombo Snuff Box" (99; dt. 01, Suche Traum, biete mich), "God Bless You, Dr. Kevorkian" (00; dt. 04, Gott segne Sie, Dr. Kevorkian).

Essays und andere Prosa: "Wampeters, Foma & Granfalloons" (74; Essays), "Sun Moon Star" (80; Kindergeschichte), "Palm Sunday" (81; eine autobiographische Collage), "Nothing Is Lost Save Honor" (84; Essays), "Conversations with Kurt Vonnegut" (88), "Nudelwerk" (94; eine aus früheren Schriften von 1965-1980 zusammengestellte Textsammlung), "Fates Worse Than Death" (91; dt. 94, Dann lieber gleich tot; autobiographische Collage), "A Man without a Country" (06; dt. Mann ohne Land).

Fernsehdrehbücher: "Happy Birthday, Wanda June" (71), "Between Time and Timbuktu or Prometheus-5" (72); eine Reihe weiterer Werke und Erzählungen wurde auch für das Fernsehen und die Theaterbühne adaptiert.

Malerei: In Verbindung mit seiner schriftstellerischen Arbeit entstanden auch eine Reihe von Grafiken von V., die schon bei verschiedenen Ausstellungen präsentiert wurden und käuflich erwerbbar sind.

2009: Kurt Vonnegut: "Der taubenblaue Drache". Aus dem Amerikanischen. 2009.

2010:  Kurt Vonnegut: "Ein dreifach Hoch auf die Milchstrasse!: vierzehn unveröffentlichte Geschichten und ein Brief". Aus dem Amerikanischen von Harry Rowohlt. 2010.

2012: Kurt Vonnegut: "Hundert-Dollar-Küsse. Sechzehn unveröffentlichte Geschichten". Aus dem Amerikanischen. 2012.

29. Januar 2015: Uraufführung am Staatstheater Mainz: "Die Sirenen des Titan" von Kurt Vonnegut. Regie: Niklaus Helbling.

Literatur

Neuere Sekundärliteratur u. a.: Robert Merrill (Hrsg.), "Critical Essays on Kurt Vonnegut"; William Rodney Allen, "Understanding Kurt Vonnegut" (91); Donald E. Morse, "Kurt Vonnegut" (92); Leonard Mustazza (Hrsg.), "Critical Response to Kurt Vonnegut" (94), Lawrence R. Broer (Hrsg.), "Sanity Plea: Schizophrenia in the Novels of Kurt Vonnegut" (94), Toff F. Davis, "Comforting Lies: Postmodern Morality in the Works of Kurt Vonnegut" (95; Dissertation), Harold Bloom (Hrsg.), Peter J. Reed, "The Short Fiction of Kurt Vonnegut" (97), "Kurt Vonnegut" (00).

November 2010: In Indianapolis, der früheren Heimatstadt des Schriftstellers Kurt Vonnegut wird die Kurz Vonnegut Memorial Library eröffnet. Das Museum, das Besuchern ab dem 29. Jan. 2011 zugänglich sein soll, zeigt neben Manuskripten und signierten Erstausgaben auch einige persönliche Dinge Vonneguts. Auch seine Zeichnungen sollen in einer Galerie ausgestellt werden.

Auszeichnungen

Auszeichnungen u. a.: Purple Heart (45), Guggenheim-Stipendium (67), Master-Grad der Univ. of Chicago (71), D. Litt. Hobard and William Smith Colleges (74).

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften u. a.: Nat. Institute of Arts and Letters, American Academy, American Humanist Association (Ehrenpräs. 1992).



Die Biographie von Jürgen Egert ist nur eine von über 40.000, die in unseren biographischen Datenbanken Personen, Sport und Pop verfügbar sind. Wöchentlich bringen wir neue Porträts, publizieren redaktionell überarbeitete Texte und aktualisieren darüberhinaus Hunderte von Biographien.
Unsere Datenbanken sind unverzichtbare Recherchequelle für Journalisten und Publizisten, wertvolle Informationsquelle für Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft, Grundausstattung für jede Bibliothek und unerschöpfliche Fundgrube für jeden, der mit den Zeitläuften und ihren Protagonisten Schritt halten will.



Lucene - Search engine library