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Carles Puigdemont

spanischer Politiker; Präsident der Region Katalonien (2016-2017); JxCat
Geburtstag: 29. Dezember 1962 Amer/La Selva/Katalonien
Nation: Spanien

Internationales Biographisches Archiv 02/2022 vom 11. Januar 2022 (fl)
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 33/2024


Blick in die Presse

Herkunft

Carles Puigdemont i Casamajó wurde am 29. Dez. 1962 in Amer/La Selva in der spanischen Region Katalonien als Sohn einer Konditorenfamilie geboren. Er war der zweite von acht Brüdern und träumte als Kind davon, Astronaut zu werden.

Ausbildung

P. studierte katalanische Philologie an der Universität Girona (ohne Abschluss) und arbeitete bereits während des Studiums für die lokale Presse.

Wirken

Karriere als JournalistP. war zunächst Lokalkorrespondent für seinen Heimatort Amer bei der Zeitung "Los Sitios" und wurde später Chefredakteur von "El Punt", der auflagenstärksten Tageszeitung in katalanischer Sprache, bei der er 1982 als Korrektor angefangen hatte. Eine Reportagen-Reihe, für die er verschiedene Länder der Europäischen Union (EU) bereiste, erschien 1993 in der Zeitschrift "Presència". In Kolumnen und in dem Buch "Cata… què?" (1994; dt. Kata... was?) thematisierte er den seiner Ansicht nach zu geringen Stellenwert Kataloniens in der internationalen Presseberichterstattung. 1999-2002 war er Gründungsdirektor der Katalanischen Nachrichtenagentur (Agència Catalana de Noticies/ACN), danach leitete er bis 2004 das Kulturzentrum "Casa de Cultura" in der Großstadt Girona (spanisch Gerona). Anschließend wurde er Direktor von "Catalonia Today", einer von ihm mit initiierten katalanischen Zeitung in englischer Sprache.

Politischer AufstiegAuch politisch engagierte sich P. für Katalonien, die Region im Nordosten der Iberischen Halbinsel mit der Hauptstadt Barcelona, die schon lange über eine starke Unabhängigkeitsbewegung verfügte und im Zuge der Demokratisierung nach dem Ende der faschistischen Franco-Diktatur (1939-1975) begrenzte Autonomierechte als eine von 17 Autonomen Gemeinschaften Spaniens erhielt. P. war Mitbegründer der Jugendorganisation der liberal-regionalistischen Partei Convergència Democràtica de Catalunya (CDC) in der Provinz Girona. Die CDC hatte 1979 unter dem Namen Convergència i Unió (CiU) eine dauerhafte Wahlallianz mit der konservativen Unió Democràtica de Catalunya (UDC) gebildet. Nach der Regionalwahl 2006 zog P. erstmals als Abgeordneter der CiU ins katalanische Parlament ein und wurde 2010, 2012 und 2015 wiedergewählt. Der polyglotte P. bezeichnete sich als "Proeuropäer", vertrat gesellschaftspolitisch liberale Positionen und stand für eine neue Politikergeneration, die auf elektronische Medien und soziale Netzwerke setzte (vgl. SZ, 12.1.2016). Die CDC bzw. CiU war über Jahrzehnte die vorherrschende Kraft in Katalonien und stellte 1980-2003 mit Jordi Pujol sowie ab 2010 mit Artur Mas den Regionalpräsidenten.

Kommunale Spitzenämter in Girona2007 führte P. die Wahlliste der CiU für den Stadtrat von Girona an, fand sich dann jedoch in der Rolle des Oppositionsführers wieder. Erst 2011 gelang es ihm, die 32 Jahre währende Vorherrschaft der sozialdemokratischen Partit dels Socialistes de Catalunya (PSC) zu brechen, als er zum Bürgermeister Gironas gewählt wurde. Seine Minderheitsregierung wurde im Stadtparlament immer wieder von der neomarxistischen, separatistischen Gruppierung Candidatura d'Unitat Popular (CUP) unterstützt. Ab 2015 fungierte P. zusätzlich als Präsident des einflussreichen "Verbandes der Gemeinden für die Unabhängigkeit Kataloniens". In diesen Ämtern konnte er sich als charismatischer Vertreter der katalanischen Separatisten profilieren. In die Kritik geriet er jedoch, als er 3,7 Mio. Euro für den städtischen Erwerb von Kunstwerken ohne Vorankündigung auf die Wasserrechnung der Einwohner Gironas umlegte.

Separatistische Bewegung in KatalonienAls wirtschaftsstärkste Region Spaniens sah sich Katalonien von der Zentralregierung schon länger stiefmütterlich behandelt. P. führte als Argument für die Unabhängigkeit v. a. den Umgang Madrids mit den regional erwirtschafteten Steuergeldern an. Nach seinen Vorstellungen sollte ein souveränes Katalonien weiterhin der EU angehören - wofür aber Spaniens Billigung nötig wäre. Das Autonomiestatut von 1979 wurde 2006 durch ein neues Statut ersetzt, das der Region die indirekte Anerkennung als Nation, erweiterte Entscheidungskompetenzen und zusätzliche Finanzmittel bringen sollte. Dagegen klagte die konservative Volkspartei PP (Partido Popular) vor dem spanischen Verfassungsgericht, das 2010 die Klage insgesamt zwar abwies, aber wichtige Artikel des Statuts für rechtswidrig erklärte, obwohl es auch vom spanischen Parlament gebilligt worden war. Artur Mas, seit 2010 Chef einer Minderheitsregierung in Barcelona, versuchte dann noch, mit Madrid über einen gerechteren Finanzausgleich zu verhandeln, fand damit jedoch kein Gehör angesichts der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die Spanien ab 2009 hart traf und das ganze Land wie auch die Region Katalonien 2012 an den Rand der Zahlungsunfähigkeit brachte. Überschattet wurde der Katalonien-Konflikt auch vom "unbewältigten Ballast des Franco-Regimes" (SZ, 1.8.2017). Separatisten wie P. verwiesen häufig darauf, dass die PP, die ab 2011 mit Mariano Rajoy den spanischen Ministerpräsidenten stellte, aus einer franquistischen Gruppierung hervorgegangen war.

Die CDC unter Mas, zuvor eher pragmatisch orientiert, schwenkte 2012 auf einen Unabhängigkeitskurs um. Ein vom Regionalparlament für 2014 geplantes Unabhängigkeitsreferendum scheiterte am Widerstand der Rajoy-Regierung und am Veto des spanischen Verfassungsgerichts. Schließlich wurde im Nov. 2014 eine eher symbolische, rechtlich nicht bindende Ersatzbefragung durchgeführt, bei der sich 80,8 % der Teilnehmenden (2,2 Mio. der rd. 5,4 Mio. Wahlberechtigten) für die Souveränität aussprachen. Daraufhin setzte Mas vorgezogene Regionalwahlen im Sept. 2015 an, von denen er sich ein klares Votum für seinen Unabhängigkeitskurs erhoffte. Nach dem Bruch der CiU-Allianz wurde hierfür die neue, lagerübergreifende Wahlallianz Junts pel Sí (JxSí; Zusammen für Ja) aus CDC, der Republikanischen Linken (ERC) und einigen Bürgerplattformen gebildet, die aber mit 39,5 % der Stimmen keine eindeutige Mehrheit erreichte. Die Gegner einer Separation - die neue Bürgerpartei Ciudadanos, die katalanischen Sozialisten (PSC-PSOE) und die PP - lagen zusammen fast gleichauf mit der JxSí, während die links-separatistische CUP die Sparpolitik von Mas nicht mittragen wollte.

Präsident von Katalonien ab 2016Genau ein Jahr nach der Volksbefragung, am 9. Nov. 2015, verabschiedete das katalanische Parlament mit 72 gegen 63 Stimmen eine Resolution für die Gründung eines eigenständigen Staates. Dieses Votum wurde von Madrid nicht anerkannt und vom Verfassungsgericht erneut für rechtswidrig erklärt. Kurz darauf scheiterte Mas im Parlament zweimal bei seiner Wiederwahl als Regionalpräsident. Um Neuwahlen zu vermeiden, schlug er schließlich P. als Nachfolger vor. Dieser wurde am 10. Jan. 2016 mit 70 von 135 Stimmen zum neuen Präsidenten der Generalitat (Regionalregierung) gewählt und galt als Kompromisskandidat zwischen der Allianz JxSí und der CUP, die eine Wiederwahl von Mas strikt abgelehnt hatte, nicht zuletzt wegen einer Korruptionsaffäre in der CDC. Bei seiner Vereidigung gelobte P., dem "katalanischen Volk" treu zu dienen, vermied es aber im Gegensatz zu seinen Vorgängern, der spanischen Verfassung und dem König von Spanien die Treue zu schwören. In seiner Antrittsrede sprach er sich in "markigen" Worten (FAZ, 12.1.2016) für eine "Abkoppelung" von Spanien aus und skizzierte den schrittweisen Übergang in die Souveränität. In der Folge trieb jedoch die radikale CUP seine fragile Minderheitsregierung vor sich her, während sich die wirtschaftliche Lage in Katalonien weiter verschlechterte. Die affärenbelastete CDC formierte sich im Juli 2016 neu unter dem Namen Partit Demòcrata Europeu Català (PDeCAT). Zugleich stand auch die PP im Fokus eines Bestechungsskandals, und deren Chef Rajoy führte seit Nov. 2016 in Madrid ebenfalls eine instabile Minderheitsregierung.

Unabhängigkeitsreferendum und Amtsenthebung 2017Während sich die katalanische Bevölkerung bei Umfragen in der Separationsfrage ziemlich gespalten zeigte, verfolgte P. das Projekt unbeirrt weiter. Im Juni 2017 nahm das Regionalparlament seinen Plan an, am 1. Okt. des Jahres ein Unabhängigkeitsreferendum durchzuführen, obwohl Rajoy zuvor bekräftigt hatte, dass er durch die Verfassung gebunden sei, dieses zu verhindern. Als auch in den eigenen Reihen Zweifel an der Durchführbarkeit des Vorhabens laut wurden, tauschte P. mehrere Minister aus. Nach dem islamistischen Terroranschlag in Barcelona (8/2017) mit 14 Todesopfern währte der Eindruck gemeinsamer Trauer von Katalanen und Spaniern nur kurz. Wenig später wurden die nächsten Schritte für das Referendum eingeleitet, das wie geplant stattfand - trotz verfassungsgerichtlichem Verbot und massiver Behinderungen durch die spanische Polizei (Guardia Civil). Hierbei stimmte nach Angaben der Regionalregierung bei einer Beteiligung von 43 % eine Mehrheit von rd. 90 % für die Unabhängigkeit. Daraufhin verbot das Verfassungsgericht die zur Ausrufung der Unabhängigkeit angesetzte Sitzung des Regionalparlaments. P. wiederum erklärte, dass er den Vollzug der Unabhängigkeitserklärung eine Zeit lang aussetze, um im Dialog mit Madrid eine Lösung zu erreichen. Nachdem aber kein Verhandlungsrahmen zustande kam, verabschiedete das Regionalparlament am 27. Okt. mit 70 gegen 10 Stimmen die Unabhängigkeitserklärung, wobei allerdings ein Großteil der Opposition die Abstimmung boykottierte. Nur 45 Minuten später beschloss der spanische Senat die Anwendung des Verfassungsartikels 155, um die katalanische Autonomie aufzuheben und die Region unter Zwangsverwaltung zu stellen. Die Zentralregierung setzte am 28. Okt. die P.-Regierung ab und löste das Regionalparlament auf. Rajoy ernannte seine Stellvertreterin Soraya Sáenz de Santamaría (PP) zur Zwangsverwalterin Kataloniens und berief neue Regionalwahlen für den 21. Dez. 2017 ein. Diese harte Linie wurde von den oppositionellen Sozialisten (PSOE) in Madrid unterstützt. Ebenso stärkte die EU, von der sich P. offenbar Unterstützung erhofft hatte, Rajoy den Rücken und lehnte auch eine Vermittlerrolle ab. In der internationalen Presse schieden sich an P. die Geister; während manche Kommentatoren ihm "narzisstische" oder auch autoritäre Neigungen unterstellten (NZZ, 26.9.2017), sahen andere in ihm keineswegs einen Fanatiker, attestierten ihm aber ein "hohes Maß an politischer Naivität" (SZ, 11.10.2017).

Der abgesetzte Präsident rief zur "demokratischen Opposition" gegen das Vorgehen Rajoys auf. Am 30. Okt. tauchte P. in Brüssel auf, am selben Tag erhob die spanische Justiz gegen ihn und acht Kabinettsmitglieder Anklage wegen "Rebellion" (Höchststrafe: 30 Jahre Haft), Aufruhr und Veruntreuung öffentlicher Gelder. Am 5. Nov. stellten sich P. und vier seiner fr. Minister, gegen die inzwischen ein europäischer Haftbefehl vorlag, den belgischen Behörden und wurden gegen Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Danach warf P. in einem öffentlichen Auftritt der Rajoy-Regierung einen "Staatsstreich" und faschistische Methoden vor (NZZ, 9.11.2017). Anfang Dezember zog Spanien den europäischen Haftbefehl zurück, mit der Begründung, dass die fünf Politiker durch ihre Absicht, für die Neuwahlen zu kandidieren, die Bereitschaft zur Rückkehr nach Spanien gezeigt hätten. Da der nationale Haftbefehl weiterhin bestand, blieb P. vorerst in Belgien und führte über das Internet einen Fernwahlkampf als Spitzenkandidat einer neuen Allianz aus PDeCAT und Unabhängigen (Liste Junts per Catalunya/JxCat), nachdem das vorherige Wahlbündnis JxSí mit der ERC zerfallen war. Inzwischen hatten bereits zahlreiche Unternehmen ihren Hauptsitz aus Katalonien ausgelagert.

Neuwahl in Katalonien und Wirken im ExilDie Regionalwahl am 21. Dez. 2017 brachte, bei einer Rekord-Wahlbeteiligung von 82 %, nicht die von der spanischen Zentralregierung erhoffte Krisenlösung. Trotz fehlender Stimmenmehrheit erreichten dank einer Besonderheit des katalanischen Wahlrechts die separatistischen Parteien zusammen wieder eine Mandatsmajorität (70 von 135 Sitzen). P.s Liste JxCat wurde mit 34 Sitzen allerdings nur zweitstärkste Kraft nach der rechtsliberalen, anti-separatistischen Ciudadanos-Partei (36 Sitze). Eine erneute Wahl P.s zum Regionalpräsidenten scheiterte letztlich daran, dass er hierfür hätte persönlich in Barcelona erscheinen müssen, damit aber seine Verhaftung riskiert hätte. Anfang März 2018 erklärte er "vorläufig" seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur. Drei Wochen später wurde das Anklageverfahren gegen 13 führende Separatisten, darunter P., eröffnet. Kurz darauf wurde P., der von Belgien aus mehrfach Vortragsreisen in andere Länder unternommen hatte, in Norddeutschland aufgrund eines neuen europäischen Haftbefehls festgenommen. Das Oberlandesgericht Schleswig entschied, dass P. wegen des Vorwurfs der Veruntreuung, nicht aber der "Rebellion" an die spanische Justiz ausgeliefert werden könne, da es am Merkmal der Gewalt fehle, das für eine Strafbarkeit nach deutschem Recht ausschlaggebend wäre. Er wurde gegen Auflagen vorläufig freigelassen. Eine Auslieferung allein wegen Veruntreuung lehnte die spanische Justiz ab, die P. dann nicht mehr wegen Rebellion hätte belangen können. P. konnte so im Juli 2018 nach Belgien zurückkehren.

Die Zwangsverwaltung Kataloniens endete erst nach mehreren Anläufen zur Regierungsbildung, als der von P. nominierte Autor und Anwalt Quim Torra (JxCat) im Mai 2018 zum Regionalpräsidenten gewählt wurde, der sich als "Statthalter" P.s verstand, solange dieser im Exil leben musste. Über seine eigene Rolle sagte P., er sei "kein Schattenpräsident", stehe aber regelmäßig in Kontakt mit der Regionalregierung (merkur.de, 28.9.2018). In seiner Exilresidenz in Waterloo bei Brüssel rief er im Okt. 2018 einen "Rat für die Republik" ins Leben, der sich für die Unabhängigkeit Kataloniens einsetzen sollte. Diese inoffizielle Einrichtung wurde von manchen Beobachtern als eine Art "Parallelregierung" angesehen. Als kurzlebig erwies sich die 2018 unter P.s Führung gegründete Sammlungspartei Crida Nacional per la República (Nationaler Aufruf für die Republik). Im Sommer 2020 verselbstständigte sich die bisherige Wahlallianz JxCat als Partei und spaltete sich von der PDeCAT ab. Auf einem Online-Kongress im August wurde P. zum Parteivorsitzenden der neuen JxCat gewählt.

Wahl ins Europaparlament2019 konnte P. für die Europawahl im Mai kandidieren, nachdem der Oberste Gerichtshof in Madrid den Beschluss der spanischen Wahlbehörde, ihn von der Wahl auszuschließen, kassierte. Mit der JxCat, die 4,6 % der Stimmen in Spanien holte, gewann P. als Spitzenkandidat ein Mandat, das er zunächst nicht antreten konnte, da ihm die Behörden in Madrid die Akkreditierung verweigerten. Erst nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilte, dass dies nicht notwendig sei und die gewählten Abgeordneten alle Rechte inklusive der Immunität genössen, nahm er im Jan. 2020 erstmals an einer Parlamentssitzung in Straßburg teil. Gegen P. lag inzwischen ein neuer europäischer Haftbefehl wegen Aufruhrs und Veruntreuung vor. Für diese Tatbestände waren im Okt. 2019 neun führende katalanische Separatisten, darunter der fr. Vize-Regionalpräsident Oriol Junqueras (ERC), in Madrid zu Haftstrafen von bis zu 13 Jahren verurteilt worden (den Vorwurf der Rebellion ließen die Richter fallen). Aufgrund von P.s parlamentarischer Immunität setzte Belgien die Vollstreckung des Haftbefehls aus. Auf Antrag der spanischen Justiz hob das EU-Parlament jedoch im März 2021 die Immunität von P. und zwei Mitstreitern auf - aus formalen Gründen, da die Strafverfahren bereits vor deren Wahl begonnen hätten. P. legte dagegen Einspruch vor dem EuGH ein und zeigte sich enttäuscht darüber, dass das EU-Parlament die Tür "für die Verfolgung des politischen Dissidenten" geöffnet habe (taz, 11.3.2021).

Entwicklungen nach der Regionalwahl 2021Unterdessen wurden in Katalonien vorgezogene Neuwahlen für Febr. 2021 angesetzt, da Torra wegen "Ungehorsams" im Sept. 2020 ein 18-monatiges Amtsverbot erhalten hatte. Sein kommissarischer Nachfolger wurde der bisherige Vize-Regierungschef Pere Aragonès (ERC). Die Regierungsparteien waren inzwischen tief zerstritten. Während die JxCat weiterhin die Konfrontation mit Madrid suchte, zeigte sich die ERC deutlich gesprächsbereiter gegenüber dem spanischen Premier Pedro Sánchez (PSOE), der Rajoy im Juni 2018 abgelöst hatte und einen moderateren Kurs verfolgte. P. wurde von einigen auch angekreidet, dass er im Gegensatz zum inhaftierten ERC-Chef Junqueras ein relativ komfortables Leben im Exil führte. Dass P. an Einfluss verloren hatte, zeigte sich Beobachtern zufolge an der Aufstellung der von ihm wenig geschätzten JxCat-Politikerin Laura Borràs als Spitzenkandidatin (vgl. SZ, 21.12.2020). Die Regionalwahl fand mitten in einer Pandemie statt, die Wahlbeteiligung lag bei nur 54 %. Die drei Separatistenparteien JxCat, ERC und CUP errangen erstmals zusammen über 50 % der Stimmen und 74 der 135 Mandate, wobei die ERC die JxCat knapp überholte (33 vs. 32 Mandate). Nach einigem Streit, der sich v. a. um den künftigen Einfluss von P.s "Rat für die Republik" drehte, wurde Aragonès schließlich im Mai 2021 zum Regierungschef gewählt.

Als die neun verurteilten Separatistenführer im Juni 2021 von Spaniens Regierung begnadigt wurden, wuchs in Katalonien die Hoffnung auf eine Lösung des Dauerkonflikts. Der Dialog zwischen Sánchez und Aragonès wurde allerdings belastet von Forderungen, die der spanische Rechnungshof im selben Monat gegen P. und andere Separatisten erhob. Demnach sollten P. und Junqueras jeweils 1,9 Mio. Euro Schadenersatz zahlen für Steuermittelausgaben im Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum. Im Sept. 2021 wurde P. auf Sardinien erneut festgenommen. Auch die italienische Justiz lieferte ihn jedoch nicht nach Spanien aus und entschied, dass er vorerst auf freiem Fuß bleibt bis zu einer endgültigen Entscheidung über die Immunität durch den EuGH.

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2. Mai 2022: Abhörskandal

Die spanische Regierung gibt bekannt, dass die Mobiltelefone von Ministerpräsident Pedro Sánchez und der Verteidigungsministerin Margarita Robles mit Hilfe der Spionagesoftware "Pegasus" abgehört worden seien. Wer hinter dem Lauschangriff steckt, ist unklar. Zuvor war bereits eine groß angelegte Abhöraktion gegen katalanische Politiker, darunter die Regionalpräsidenten Carles Puigdemont, Quim Torra und Pere Aragonès, bekanntgeworden. Im Zusammenhang mit dem Skandal entlässt Sánchez am 10.5. die Direktorin des Geheimdienstes (CNI), Paz Esteban.

7. Oktober 2022: Katalonien, Bruch der Regierungskoalition - Minderheitsregierung

In Katalonien zerbricht die Regierungskoalition aus der ERC von Regionalpräsident Pere Aragonès und der JxCat des im Exil lebenden Carles Puigdemont, nachdem sich bei einer Abstimmung in der JxCat 55 % der abstimmenden Mitglieder (bei einer Beteiligung von 79,2 %) für den Austritt aus der Koalition ausgesprochen haben, weil sich Aragonès angeblich nicht genug für die Selbstbestimmung Kataloniens einsetzt. Die sechs Minister von JxCat verlassen die Regierung. Der Regionalpräsident kündigt an, mit wechselnden Mehrheiten weiterregieren zu wollen. Der PSOE-Chef und spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez bietet Aragonès daraufhin seine Unterstützung an, da er mit seiner Minderheitsregierung auf nationaler Ebene auf die ERC-Stimmen angewiesen ist. Auch die En Comú Podem von Ada Colau ist zu einer Zusammenarbeit mit der ERC bereit.

11. November 2022: Gesetzentwurf für die Abschaffung des Aufruhr-Straftatbestandes

Die spanische Minderheitsregierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE) legt einen Gesetzentwurf vor, der die Ersetzung des mit maximal 15 Jahren Haft drohenen "Aufruhr"-Paragraphen durch den Straftatbestand der "schweren Störung der öffentlichen Ordnung" mit maximal fünf Jahren Haftandrohung vorsieht. Damit kommt die Regierung vor allem katalanischen Unabhängigkeitsbefürwortern entgegen. Im Abgeordentenhaus in Madrid ist sie auf die Unterstützung der katalanischen ERC angewiesen.

17. Juni 2023: Barcelona, Neuer Bürgermeister - Bündnis gegen Separatisten

Der neue Bürgermeister von Barcelona, Jaume Collboni (Partit dels Socialistes de Catalunya/PSC), tritt als Nachfolger von Ada Colau (Barcelona En Comú) sein Amt an. Der Sozialist war u. a. mit den Stimmen des konservativen PP sowie von Barcelona En Comú gewählt worden, die damit verhindern wollten, dass zum ersten Mal die Befürworter einer Unabhängigkeit Kataloniens das Rathaus übernehmen. Wahlsieger Xavier Trias von der separatistischen Junts-Partei von Carles Puigdemont wollte mit der auf Regionalebene regierenden ERC-Partei eine Koalition bilden. Colau und ihre Partei gehen in die Opposition. Der neue Bürgermeister kann sich damit künftig nur auf zehn der insgesamt 41 Stadträte stützen.

23. Juli 2023: Parlamentswahlen

Bei der Wahl zum spanischen Abgeordnetenhaus erringt die konservative Volkspartei (PP) von Alberto Núñez Feijóo nach vorläufigen Angaben 33,1 % der Stimmen (+12,2 Prozentpunkte gegenüber der letzten Wahl) und sichert sich damit 137 (+48) der insgesamt 350 Sitze. Die regierende sozialdemokratische PSOE von Ministerpräsident Pedro Sánchez kommt auf 31,7 % (+3,7) und 121 Mandate (+1). Die rechte Vox von Santiago Abascal folgt mit 12,4 % (-2,7) und 33 Sitzen (-19), knapp vor der Linksallianz Sumar von Yolanda Díaz Pérez mit 12,3 % (-3) und 31 Mandaten (-7). Die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) kommt auf sieben Sitze (-6) und Zusammen für Katalonien (Junts) von Carles Puigdemont ebenfalls auf sieben Mandate (+3). Auf die beiden baskischen Parteien EH Bildu und Baskische Nationalistische Partei entfallen sechs (+1) bzw. fünf (-1) Sitze. Drei Mandate gehen an sonstige Regionalparteien. Die Wahlbeteiligung wird mit 66 % angegeben. Bei der gleichzeitigen Senatswahl wird über 208 der insgesamt 265 Senatssitze entschieden. Von den 208 Sitzen sichert sich die Volkspartei 120 (+37), die Sozialdemokraten 72 (-20). 23 Sitze verteilen sich auf Regionalparteien. Da durch das Wahlergebnis keine Seite eine klare Regierungsmehrheit erhält, stehen lange Verhandlungen über die Regierungsbildungen und möglicherweise sogar Neuwahlen im Raum.

9. November 2023: Einigung der PSOE mit katalanischer Junts-Partei über Duldung einer Minderheitsregierung

Die spanischen Sozialisten (PSOE) von Ministerpräsident Pedro Sánchez und die separatistische katalanische Junts-Partei des im Exil lebenden Carles Puigdemont einigen sich auf einen Kompromiss, welcher einer Minderheitsregierung der PSOE mit dem Linksbündnis Sumar die Mehrheit im Parlament sichert. Im Gegenzug soll es ein Amnestiegesetz für die am katalanischen Unabhängigkeitsreferendum Beteiligten geben. Die Einigung wird von der konservativen PP und der rechtspopulistischen Vox-Partei scharf kritisiert. In den folgenden Tagen kommt es in vielen Städten Spaniens zu Kundgebungen gegen die Amnestie.

16. November 2023: Wiederwahl des Ministerpräsidenten

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE) wird im Parlament mit den Stimmen von 179 der insgesamt 350 Abgeordneten wiedergewählt. Die Stimmen kommen von acht der elf im Parlament vertretenen Parteien. 171 Gegenstimmen kommen von der PP, der Vox und der UPN aus Navarra.

10. Januar 2024: Unsichere Mehrheiten der Regierung im Parlament - Ausscheiden von Podemos aus Linksbündnis

Die linke Minderheitsregierung Spaniens unter Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE) bringt mit nur einer Stimme Mehrheit zwei von drei Regierungsdekreten durchs Parlament. Damit wird der Weg freigemacht für die Zahlung von elf Mrd. Euro aus dem Next-Generation-Fonds der EU. Subventionen für den öffentlichen Personenverkehr sowie die Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel können weiterlaufen. In den Abstimmungen enthalten sich die Abgeordneten der katalanischen Junts-Partei, die zunächst angekündigt hatten, mit Nein zu stimmen. Die Abgeordneten der geschrumpften Podemos-Partei, die in der neuen Regierung keine Posten erhalten und deshalb das Linksbündnis "Sumar" verlassen haben, lassen dagegen eine Erhöhung der Arbeitslosenhilfe scheitern.

14. März 2024: Amnestiegesetz für katalanische Separatisten

Das Unterhaus in Spanien beschließt mit 178 zu 172 Stimmen das umstrittene Amnestiegesetz für katalanische Separatisten. Der Gesetzentwurf geht nun in den Senat, wo die Opposition ihn zwei Monate lang blockieren, aber nicht mehr verhindern kann.

21. März 2024: Katalonien, Ex-Regionalpräsident kündigt erneute Kandidatur an

Der seit 2017 im Exil in Belgien lebende frühere Regionalpräsident Kataloniens, Carles Puigdemont (Junts per Catalunya), kündigt seine Kandidatur bei der vorgezogenen Regionalwahl in Katalonien am 12.5. dieses Jahres an. Weil seine Partei die Zusammenarbeit mit der regierenden ERC von Regionalpräsident Pere Aragonès aufkündigte, musste die Wahl vorgezogen werden. Allerdings ist das mit dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez ausgehandelte Amnestiegesetz noch nicht rechtskräftig, so dass Puigdemont in Spanien weiter die Verhaftung droht.

12. Mai 2024: Katalonien, Regionalwahl

Bei der Regionalwahl in Katalonien kann die Sozialistische Partei Kataloniens (PSC-PSOE) von Salvador Illa gegenüber der letzten Wahl um 4,9 Prozentpunkte auf  28 % der Stimmen zulegen und erringt 42 (+9) der insgesamt 135 Sitze im Regionalparlament. Die separatistische Partei Cat–Junts+ von Carles Puigdemont folgt mit 21,6 % (+1,6) und 35 Mandaten (+3). Die bisher regierenden Linksrepublikaner (ERC) von Pere Aragonès stürzen dagegen um 7,6 Prozentpunkte auf 13,7 % ab und erhalten noch 20 Sitze (-13). Die konservative Volkspartei (PP) von Alejandro Fernández kann um 7,2 Prozentpunkte auf 11 % zulegen und kommt auf 15 Mandate (+12). Die rechtspopulistische Vox erhält 8 % (+0,3) und erneut elf Sitze. Comuns Sumar folgt mit 5,8 % (-1,1) und sechs Mandaten (-2). Die links-separatistische CUP-DT kommt auf 4,1 % (-2,7) und vier Sitze (-5). Die rechts-separatistische Katalanische Allianz erhält 3,8 % und zieht mit zwei Abgeordneten ins Parlament ein. Die Wahlbeteiligung liegt bei 54,7 % (+3,4). Zum ersten Mal seit den 1980er Jahren verfehlen die katalanischen Nationalisten insgesamt die Mehrheit bei der Regionalwahl.

30. Mai 2024: Verabschiedung des Amnestiegesetzes für katalanische Unabhängigkeitsbefürworter - Einschränkung durch Obersten Gerichtshof

Das spanische Parlament verabschiedet mit 177 zu 172 Stimmen endgültig das heftig umstrittene Amnestiegesetz für katalanische Unabhängigkeitsbefürworter. Davon sollen 372 Katalanen profitieren, darunter Carles Puigdemont. Am 1.7. kündigt der Oberste Gerichtshof Spaniens an,  dass das Amnestiegesetz nicht auf den Missbrauch von Steuergeldern anwendbar sei. Die Haftbefehle gegen Puigdemont und zwei frühere Minister bleiben damit in Kraft.

10. August 2024: Katalonien, Vereidigung des neuen Regionalpräsidenten - Machtverlust der Separatisten

In Barcelona legt der Sozialist Salvador Illa (PSC-PSOE) seinen Amtseid als Regionalpräsident Kataloniens ab. Am 8.8. ist er mit 68 zu 66 Stimmen zum Präsidenten der Generalitat von Katalonien gewählt worden. Außer den Stimmen seiner Parteikollegen erhielt er auch die der (independistischen) ERC sowie die der Comuns Sumar. Nach 14 Jahren stehen damit keine Vertreter der separatistischen Parteien mehr an der Spitze Kataloniens. Der frühere spanische Gesundheitsminister ist ein enger Vertrauter von Ministerpräsident Pedro Sánchez. Im Gegenzug für die Unterstützung Illas durch die ERC erhält Katalonien vom Zentralstaat das Recht eingeräumt, künftig alle Steuern selbst zu erheben und zu verwalten. Sánchez spricht von einer Föderalisierung Spaniens. Der frühere katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont (Junts) hatte bei einem Blitzbesuch in Barcelona aus dem Exil in Belgien am 8.8. noch versucht, die Wahl Illas zu verhindern. Er war aber direkt nach einer kurzen Rede wieder abgetaucht, um seiner Verhaftung zu entgehen. Sánchez ist im nationalen Parlament auf die Unterstützung der sieben Abgeordneten von Junts angewiesen.

Familie

P. ist seit 2000 mit der rumänischen Anglistin und Journalistin Marcela Topor verheiratet. Das Paar hat zwei Töchter, Magali und Maria. Die Familie lebt in Girona. P. spricht neben Katalanisch und Spanisch auch fließend Englisch, Französisch und Rumänisch. Er spielt Rockgitarre und E-Piano.

Werke

Buchveröffentlichungen u. a.: "Cata… que?" (94), "La Crise Catalane: Une opportunité pour l'Europe" (18), "M'explico: De la investidura a l'exili", "La lluita a l'exili" (20).

Adresse

c/o Consell per la República, Avenue de l’Avocat, 34, 1410 Waterloo, Belgien, E-Mail: consell@consellrepublica.cat, Internet: https://consellrepublica.cat



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