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(mlat.; Lidia) – Die anonyme überlieferte, entweder fälschlich dem Dichter Matthäus von Vendôme oder ohne endgültigen Beweis dem Arnulf von Orléans zugeschriebene Elegienkomödie entstammt vermutlich der zweiten Hälfte des 12. Jh.s. Der Autor ist möglicherweise mit dem Verfasser der ebenfalls anonym tradierten Dichtung Miles gloriosus identisch. Die in 278 elegischen Distichen erzählte Geschichte basiert auf einem mittelalterlichen Schwank.
Lidia, die nymphomanisch veranlagte Frau des Herzogs Decius, verliebt sich unsterblich in dessen getreuen Lehnsmann, den Ritter Pirrus, und versucht, ihn mit allen Mitteln zu verführen. Zunächst lässt sie ihm durch ihre einflussreiche Dienerin Lusca eine Liebesbotschaft übermitteln, doch bleibt der Ritter standhaft in seiner Treue zu Decius. Erneut schickt Lidia nun ihre Dienerin zu Pirrus, um ihn durch Versprechungen zu erweichen. Lusca erinnert ihn zudem daran, dass sich Lidia an ihm rächen könnte, falls er sie weiterhin verschmähe. Der Ritter fordert daraufhin drei Mutproben, an denen sich zeigen soll, dass Lidia eine starke Frau sei und Decius ein ahnungsloser Schwächling, vor dem er im Falle eines Ehebruchs nichts zu befürchten habe. Lidia soll den Lieblingsfalken ihres Mannes töten, diesem zudem fünf Barthaare auszupfen und ihm einen Zahn ziehen. Listenreich setzt sie zunächst die ersten beiden Forderungen um. Anschließend suggeriert sie ihrem Gatten, er leide wegen eines faulen Zahns an Mundgeruch. Zusammen mit dem hierzu herbeigerufenen Pirrus ziehen sie daher auf schmerzhafte Weise, doch mit Zustimmung des Decius diesen (völlig gesunden) Zahn. Der Ritter ist nun völlig von der Macht Lidias über ihren Mann überzeugt.
Nach dem Austausch erster Zärtlichkeiten kündigt sie an, ihre bisherigen Listen durch eine weitere Mutprobe sogar noch zu übertreffen: Sie spiegelt eine fiebrige Erkrankung vor und lässt sich von ihrem Gatten sowie dem Ritter zu einem an einer plätschernden Quelle gelegenen Birnbaum (lat.: pirus) geleiten, wo sie sich angeblich Erquickung erhofft. Auf Bitten der Gemahlin lässt Decius seinen Ritter auf den Baum klettern, um für sie einige Birnen zu pflücken. Pirrus steigt hinauf und gibt sich dort oben peinlich berührt, weil der angeblich liebesgeile Herzog es an diesem schönen Ort mit seiner Frau treiben wolle. Er möge sich doch hierzu eher mit ihr in den Palast zurückziehen. Dem ob dieser Unterstellung verwirrten Herzog erklärt Lidia, die große Höhe des Baums habe offenbar die Wahrnehmung des Ritters getrübt. Um diese naturwissenschaftliche These zu überprüfen, besteigt auch er den Baum und rüttelt an den Zweigen, worauf Pirrus seine Hoden schaukeln lässt und vorgibt, hierdurch in sexuelle Erregung versetzt zu werden. Auch die offenkundig liebestolle Lidia beteuert, dass nicht etwa Pirrus, sondern der Birnbaum sie erotisiere: »[...] nec Pirrus me mouet, immo pirus« (v. 548). So lässt der vollkommen naive und durch diesen schlichten Trick erneut genarrte Ehemann den Baum fällen. Die für jeden Außenstehenden erkennbare sexuelle Beziehung zwischen Pirrus und Lidia bleibt ihm verborgen.
Der insbesondere durch den Geta des Vitalis von Blois beeinflusste, ungewöhnlich stark durch Rhetorik und Belehrung geprägte Text operiert mit den klassischen Motiven der Komödie (Ehebruch, Verwirrspiel, Düpierung des Gatten etc.). Angeblich verfolgt der Autor mit seinem (an Männer adressierten) Werk eine aufklärerische Absicht: »Ich habe gelehrt, was eine Frau vermag, damit du dem mit mehr Vorsicht entgehst; auch du hast möglicherweise eine Lidia bei dir« (Verse 5 f.: »Cautius ut fugeres docui quid femina posset; // Esse potest una Lidia quoque tibi«; Übers. J. Suchomski). Dieser proklamierten Intention entspricht zwar die grundsätzlich misogyne Tendenz des Textes, da jedoch das Publikum der Komödie im Wesentlichen aus zölibatär lebenden Geistlichen bestanden haben dürfte, dient die Verkündigung eines solchen Aufklärungsprogramms wohl eher dem Ziel, zu legitimieren, dass sich ein solches Publikum mit dem erotischen und damit für Kleriker bedenklichen Stoff überhaupt beschäftigt.
Ausg.:Lidia, in: Commedie Latine del XII e XIII secolo, Hg. I. Gualandri/G. Orlandi, Bd. 6, 1998, 113–318.
Übers.:Lateinische Comediae des 12. Jh.s, Hg. J. Suchomski, 1979, 205–235, 276–291.