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MUNZINGER Personen

Max Ferdinand Perutz

britisch-österreichischer Biochemiker; Nobelpreis (Chemie) 1962; Prof.; Dr. phil.
Geburtstag: 19. Mai 1914 Wien
Todestag: 6. Februar 2002 Cambridge
Nation: Großbritannien

Internationales Biographisches Archiv 23/2002 vom 27. Mai 2002 (ne)
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 23/2022


Blick in die Presse

Herkunft

Max Ferdinand Perutz war der Sohn von Hugo Perutz und Dely Goldschmidt. Die Familien väterlicher- wie mütterlicherseits waren erfolgreich in der Textilindustrie tätig.

Ausbildung

P. besuchte das Theresianum in Wien und studierte nach dem Abitur (1932) Chemie (nicht wie geplant Jura) an der Universität seiner Vaterstadt. Nach dem Staatsexamen verließ er 1936 Österreich, um als Forschungsassistent von John Desmond Bernal ans Cavendish Laboratory nach Cambridge (England) zu gehen, wo er auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen-Kristallographie arbeitete. 1937 wandte er sich Forschungen auf dem Gebiet des Proteins Hämoglobin zu. Zunächst finanzierten noch seine Eltern sein Studium, als aber Österreich und die Tschechoslowakei in den nationalsozialistischen Machtbereich kamen, wurde die Familie enteignet, die Eltern emigrierten ebenfalls nach England. Ab 1939 arbeitete P. mit einem Rockefeller-Stipendium als Forschungsassistent von Sir Lawrence Bragg in Cambridge. 1940 promovierte er zum Dr. phil.

Wirken

Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs erhielt P. (mit Unterbrechungen) Unterstützung durch die Rockefeller-Stiftung. Während des Kriegs war er auch - nach einjähriger Internierung - an geheimen Militärprojekten der Alliierten beteiligt. 1945-1947 führte er seine Studien als Imperial Chemical Industries Research Fellow fort. Im Okt. 1947 wurde er zum Direktor der neu eingerichteten Abteilung für Molekularbiologie des Medizinischen Forschungsrats (Medical Research Council; M.R.C.) ernannt, der er in den folgenden Jahren weltweite Bedeutung verschaffte. Der Doktorand John Cowdery Kendrew war damals sein einziger Mitarbeiter. Die Abteilung war bis 1961 im Cavendish Laboratorium in Cambridge untergebracht, 1962 - mittlerweile waren 40 Mitarbeiter beschäftigt - wurden dann alle Unterabteilungen, die vorher innerhalb Cambridges verstreut gewesen waren, unter einem Dach zusammengefasst. P. war von 1962 bis 1979 Vorsitzender dieses auf modernste Art eingerichteten Laboratoriums für Molekularbiologie in Cambridge, aus dessen Mitarbeiterstab neun Nobelpreisträger hervorgingen. Sein Nachfolger als Direktor wurde Sidney Brenner. Ein wesentliches Merkmal von P.s Führungsstil war, dass er die begabten, hoch motivierten Forscher selbstständig, ohne viel bürokratischen Papierkram forschen ließ.

In seinen Forschungen beschäftigte sich P. ab 1937 hauptsächlich mit der Struktur des Blutfarbstoffs, des Hämoglobins. Sein Kollege Kendrew, mit dem er später den Nobelpreis teilte, widmete sich vor allem der Erforschung des im Muskel vorkommenden Farbstoffs Myoglobin. Beide Proteine haben im menschlichen Körper die Funktion, Sauerstoff aufzunehmen und wieder abzugeben. P. und Kendrew arbeiteten gemeinsam auf dem Gebiet der Erkennung der Struktur großer Eiweißmoleküle. Dazu benutzten sie die Röntgen-Kristallographie. Bei dieser Methode der Strukturanalyse, die durch die Entdeckungen Max von Laues und der britischen Forscher William Henry und William Lawrence Bragg (Vater und Sohn) Anfang des 20. Jahrhunderts ermöglicht wurde, wird ein Stoff in kristalliner Form einem Röntgenstrahl ausgesetzt, der dann von den Molekülstrukturen in typischer Weise gebrochen wird. Mit Hilfe des entstandenen Strahlungsmusters lässt sich der Aufbau des Moleküls rekonstruieren. P. gelang es erstmals, dieses Verfahren, das bisher nur für einfache atomare Strukturen eingesetzt worden war, erfolgreich für das komplexe Molekül Hämoglobin anzuwenden.

P.s und Kendrews Forschungen erstreckten sich vor allem auf Form und Gestalt der Aminosäureketten als Bausteine für die Eiweißkörper und ihre Verbindung untereinander. Zunächst kamen beide nur langsam voran. Erst als P. 1953 auf die Idee kam, schwere Gold- und Quecksilberatome in das Proteinmolekül, das selbst aus sehr leichten Atomen zusammengesetzt ist, "einzubauen", kamen die Forscher zu besseren Ergebnissen. Die schweren Gold- und Quecksilberatome leuchteten unter der Röntgenbestrahlung wie "Leuchttürme" und zeigten dadurch buchstäblich den Weg zur Bestimmung der räumlichen Struktur des Proteins. Dennoch musste eine enorme Datenmenge ausgewertet werden. 1959 konnte P. eine erste Struktur des Hämoglobin präsentieren. Die schwedische Akademie der Wissenschaften verlieh den beiden Eiweißforschern für ihre Arbeiten 1962 zu gleichen Teilen den mit rund 200.000 DM dotierten Chemie-Nobelpreis. Zwar war die dreidimensionale Struktur des Hämoglobin zu diesem Zeitpunkt noch nicht in allen Feinheiten aufgeklärt, wesentliche Punkte waren aber erforscht. Darüber hinaus lag die Bedeutung von P.s und Kendrews Forschungen auch darin, dass sie die physikalische Methode der Röntgen-Strukturanalyse wesentlich weiterentwickelt und ihre Leistungsfähigkeit an zwei wichtigen biologischen Molekülen aufgezeigt hatten. In den 60er Jahren wandten sich P. und seine Mitarbeiter der Aufgabe zu, die atomaren Strukturen von oxy- und deoxy-Hämoglobin zu lösen.

P. lehrte von 1954 bis 1968 auch am Davy-Faraday-Laboratorium der Royal Institution in London. Von 1973 bis 1979 las er dort als Fullerian Prof. für Physiologie. 1961 hielt er Gastvorlesungen an der Universität Glasgow und am Weizmann Institute in Israel, dem er ehrenhalber angehörte. Von 1963 bis 1969 war er Vorsitzender der europäischen Organisation für Molekularbiologie.

Auch nachdem P. 1979 altersbedingt den Vorsitz des Labors für Molekularbiologie abgegeben hatte, arbeitete er dort weiter als wissenschaftlicher Mitarbeiter und erhielt zwischen 1983 und 1995 mehrere Forschungsstipendien (NSF, NIH). Noch wenige Monate vor seinem Tod beendete P., der "als einer der Begründer der modernen Strukturbiologie" beschrieben wird (Standard, 7.2.2002), eine Arbeit zur "Huntington"-Krankheit.

Familie

P. war seit 1942 mit Gisela Clara, geb. Peiser, verheiratet und hatte zwei Kinder, Vivien (geb. 1944) und Robin (geb. 1949). Am 6. Febr. 2002 erlag P. einem Krebsleiden.

Werke

Veröffentlichungen (u. a.): "X-ray analysis of haemoglobin" (62; Nobelpreisrede), "Proteins and Nucleic Acids: Structure and Function" (62), "Atlas of Haemoglobin and Myoglobin" (81; zus. mit G. Fermi), "Ging's ohne Forschung besser" (82), "Is Science Necessary: Essays on Science and Scientists" (89), "Mechanisms of Cooperativity and Allosteric Control in Proteins" (90), "Protein Structures: New Approaches to Disease and Therapy" (92), "Science is No Quiet Life" (97), "I Wish I'd Made You Angry Earlier" (98); dazu viele Arbeiten auf dem Gebiet der Protein-Strukturen.

Literatur

2022: Georgina Ferry: "Max Perutz und das Geheimnis des Lebens". Biographie. Aus dem Englischen (2022).

Auszeichnungen

Auszeichnungen u. a.: Ritter des Ordens des Britischen Empire (63), Nobelpreis für Chemie (62; zus. mit John Cowdery Kendrew), Medaille der Royal Society (71), Copley-Medaille (79), brit. Order of Merit (88), dt. Orden Pour le Mérite (88). Die Universitäten Wien und Edinburgh verliehen P. 1965 den Ehrendoktortitel. Seit 1954 war er Fellow der Royal Society. P. war Ehrenmitglied der amerikanischen Akademie für Kunst und Wissenschaften, korrespondierendes Mitglied der österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie ausländisches Mitglied der American Philosophical Society, der National Academy of Sciences in den USA und der österreichischen, niederländischen, italienischen, deutschen und französischen Akademie der Wissenschaften.



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