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MUNZINGER Personen

Rupert Lay SJ

deutscher Philosoph und kath. Theologe; Prof. em.; Dr. phil.
Geburtstag: 14. Juni 1929 Drolshagen
Todestag: 9. Februar 2023 Frankfurt
Nation: Deutschland - Bundesrepublik

Internationales Biographisches Archiv 17/2017 vom 25. April 2017 (fl)
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 06/2023


Blick in die Presse

Herkunft

Rupert Lay wurde 1929 in Drolshagen (Kreis Olpe, Sauerland) als Sohn eines Sparkassendirektors geboren. Seine Mutter stammte aus der Schweiz.

Ausbildung

L. trat 1952 in den katholischen Jesuitenorden ein, studierte zunächst an der Ordenshochschule in Pullach Philosophie und parallel Psychologie in München, legte später seine theologischen Examina in Frankfurt/Main ab und wurde 1960 zum Priester geweiht. 1964 promovierte er in Philosophie mit der Dissertationsschrift "Zur Lehre von den Transzendentalien bei Petrus Aureoli O.F.M." zum Dr. phil. an der Universität Bonn, wo er zugleich auch Theoretische Physik studierte. 1966 habilitierte er sich mit einer Arbeit über die philosophische Relevanz des Begriffs Masse in der Operatorenmechanik. Via Fernstudium in Hagen absolvierte er zudem ein Studium der Betriebswirtschaftslehre.

Wirken

Professor, Managertrainer, Unternehmensberater1967 trat L. eine Professur für Wissenschaftstheorie und Sprachphilosophie an der renommierten Jesuitenhochschule St. Georgen in Frankfurt/Main an. Daneben betrieb er ab 1968 eine psychotherapeutische Praxis und führte Trainings für Manager und Unternehmer durch, ab 1971 auch Coachings. Zu den Klienten, die seinen Rat suchten, zählten Vorstandsvorsitzende großer Konzerne ebenso wie Politiker aus der deutschen Staats- und Regierungsspitze. Über L.s Managementseminare wurde seit den 1980er Jahren vermehrt auch in den Medien berichtet, die den persönlich bescheiden und unaufgeregt auftretenden Jesuitenpater als "Managerpapst" oder "Ethikguru" apostrophierten. Wegen ihrer extremen Herausforderung waren die Seminare gleichermaßen gefragt wie gefürchtet; wer sie besuchte, "kam verändert wieder", hieß es z. B. im FAZ-Magazin (37/1992). Es ging hierbei weniger um Führungstechniken als um Persönlichkeitsbildung und soziale Performance, um menschliche Qualitäten, die L. als wichtigste Garanten für eine humane Arbeitswelt ansah. Ein zentrales Lernziel war die Dialektik, verstanden als die Kunst, andere zu überzeugen und kommunikativ Probleme zu lösen. L. lehrte die Distanz zu sich selbst und zu den Dingen, um Vorurteilsstrukturen und eine allzu selbstsichere Selbstgewissheit aufzudecken bzw. aufzubrechen. Abgeschiedene Landschaften - teils auch im Ausland, etwa in Kenia oder auf den Malediven - bildeten den äußeren Rahmen für die Veranstaltungen, deren Erträge L. an seinen Orden abführte. Durch diese Arbeit wurde er zum "wohl bekanntesten Jesuiten nach Oswald von Nell-Breuning", wie DER SPIEGEL (16.9.1996) feststellte. Er kenne "keine ärmeren Menschen vor Gott als die Manager", lautete ein oft zitierter Satz von L., der seine Trainings auch als eine Form von Seelsorge begriff. Etwa zwei Drittel der Teilnehmer waren nach seiner Schätzung konfessionslos (WELT, 18.10.1995).

Seit Mitte der 1980er Jahre betätigte sich L. überdies als Unternehmensberater und nahm später auch diverse Aufsichtsratsmandate wahr. Mit 70 Jahren war er zehnfacher Aufsichtsrat, überwiegend bei mittelständischen Unternehmen in Süddeutschland (vgl. FAZ, 17.4.2000). Als Berater focht er für eine werteorientierte Vertrauenskultur im innerbetrieblichen Beziehungsmanagement, die sich langfristig auch ökonomisch rechne, wie er stets betonte.

Moralphilosoph und Autor von ManagementbüchernL. verfasste insgesamt mehr als 40 Bücher und Hunderte von Fachbeiträgen in Zeitschriften und Nachschlagewerken. Nach einer Reihe von philosophischen Fachpublikationen - sein erstes Buch "Unsere Welt. Gestalt und Deutung" erschien 1959 - wurde L. einer breiteren Öffentlichkeit v. a. durch seine Managementbücher bekannt. Etliche davon wurden Bestseller und Longseller, so etwa "Dialektik für Manager" (1974), "Manipulation durch die Sprache" (1977), "Führen durch das Wort" (1978) und "Ethik für Manager" (1989). Von der einschlägigen Ratgeberliteratur unterschieden sich diese Werke durch ihre wissenschaftliche Fundierung, bei der L. - von vielen Weggefährten als "Universalgenie" beschrieben - aus dem Vollen schöpfen konnte. So leitete er seine kommunikative Dialektik nicht nur aus der antiken Philosophie (Platon, Aristoteles) ab, sondern rekurrierte auch auf Erkenntnisse der modernen Hermeneutik, Linguistik, Kommunikationstheorie, Psychologie, Soziologie und Logik, um ein tieferes Verständnis für die dialektische Praxis und die Diagnostik dialektischer Abläufe zu vermitteln. Macht und Moral sind weitere zentrale Themen in L.s Werk, die er in Buchtiteln wie "Die Macht der Unmoral" (1993) auslotete. Der Kern seiner Ethik ist der von dem Psychoanalytiker Erich Fromm eingeführte Begriff der Biophilie (Liebe zum Leben), auf dem die von L. formulierte ethische Maxime basiert: "Handle so, dass du das personale (emotionale, sittliche, soziale, musische, religiöse) Leben in dir und anderen eher mehrst und entfaltest, denn minderst und verkürzt" (Zitat aus "Ethik für Manager"). Als einer der führenden Moralphilosophen Deutschlands gab L. 1995-2004 mit dem Fachkollegen Norbert Copray das vierteljährliche Periodikum "Ethik-Letter LayReport" heraus.

Kirchenkritiker im Konflikt mit dem OrdenMit dem philosophischen Anspruch, Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, ging L. auch an theologische Lehrmeinungen heran, was ihm schließlich erhebliche Probleme mit seinem Orden einbrachte. Als Konstruktivist ging er davon aus, dass nicht-triviale (d. h. nicht unmittelbar der Sinneserkenntnis leicht zugängliche) Glaubenssätze bzw. Dogmen keinen absoluten Wahrheitsgehalt beanspruchen können, da sie von jedem Menschen anders verstanden werden. Dieser erkenntnisphilosophische Hintergrund floss in sein Werk "Die Ketzer" (1982) ein, das den Konflikt zwischen Profanwissenschaft und Glaube seit Beginn der Neuzeit nachzeichnet - von Roger Bacon (13. Jh.) bis Pierre Teilhard de Chardin, einem Jesuiten (1881-1955). Obwohl L. die restriktive Genehmigungspraxis des Ordens im Fall der Schriften Teilhards hart kritisierte, hatte er selbst noch die Druckerlaubnis für sein Buch erhalten. Zum Auslöser für ein tiefes Zerwürfnis zwischen L. und dem Orden wurde dann seine Streitschrift "Nachkirchliches Christentum. Der lebende Jesus und die sterbende Kirche" (1995), worin er Kritik an den Erscheinungsformen der europäischen katholischen Kirche übte und dafür plädierte, die wachsende Gruppe jener Menschen ernst zu nehmen, die außerhalb der Kirche christlich zu leben versucht, da sie sich "durch die Institution Kirche eher behindert denn unterstützt" fühlt. L. betonte, sich der Kirche weiterhin verbunden zu fühlen, kritisierte aber, dass die Sorge um ihren Machterhalt eine Eigendynamik angenommen habe. Auch ein Zeitungsinterview, worin sich L. kritisch über das amtskirchliche Beharren auf Dogmen und den Pflichtzölibat für Priester äußerte (WELT, 25.9.1995), rief den Unmut der Ordensoberen hervor, die den streitbaren Professor daraufhin beurlaubten und mit einem Lehrverbot belegten. Im Okt. 1996, ein Jahr vor der geplanten Emeritierung, verließ L. die Hochschule St. Georgen. Presseberichten zufolge gab es neben den theologischen auch grundsätzliche Differenzen über die Ausrichtung des Ordens. L. sah dessen Aufgabe weniger in einer nach innen gewandten Spiritualität als vielmehr bei den Menschen "draußen", auch jenen, die von der ordentlichen Seelsorge nicht mehr erreicht werden (vgl. SZ, 1.8.1996).

Neuere WerkeTrotz des Eklats blieb L. Mitglied des Jesuitenordens, verlegte seinen Hauptwohnsitz jedoch außerhalb des Frankfurter Ignatiushauses und verstärkte seine Tätigkeiten als Unternehmensberater und Führungscoach. Bis ins Jahr 2014 hielt er zudem regelmäßig Vorträge in der Öffentlichkeit. Ein wichtiges Anliegen von L. blieb es zu zeigen, dass Christsein auch in der Welt des Heute seinen Platz hat. In seinem geschichtsphilosophischen Buch "Das Ende der Neuzeit" (1996) befasste er sich mit dem Bedeutungsverlust politischer, religiöser und v. a. moralischer Werte und zeigte auf, wie man dieser Herausforderung begegnen und die Werte für sich neu interpretieren kann. In den 2000er Jahren wurden seine Buchpublikationen seltener, jedoch meldete sich L. im hohen Alter noch einmal zurück mit der Schrift "Die Zweite Aufklärung. Eine Einführung in den Konstruktivismus" (2015), worin er die Defizite der Ersten Aufklärung (1650-1830) - oft als "Zeitalter der Vernunft" etikettiert - analysierte und philosophische Ansätze vorstellte, um diese Grenzen zu überwinden.

Familie

L. bekannte sich 1996 zu seinem damals 13-jährigen Sohn Rupert Diedrich, für den er die Vormundschaft übernahm, nachdem der Mutter, die in St. Georgen studiert hatte, gerichtlich die elterliche Sorge entzogen wurde. Dies sei jedoch ohne Bedeutung für seine Verweisung von der Hochschule gewesen, teilte er mit (ZEIT, 20.9.1996). Der erwachsene Sohn unterstützte ihn später in puncto Seminarorganisation und Internetauftritt. L. hielt sich mit Wandern und Schwimmen fit und war viele Jahre als passionierter Sporttaucher aktiv. Am 9. Febr. 2023 starb er im Alter von 93 Jahren in einem Seniorenzentrum in Frankfurt.

Werke

Buchveröffentlichungen u. a.: "Unsere Welt" (59), "Die Welt des Stoffes" (66; 2 Bde.), "Grundzüge einer komplexen Wissenschaftstheorie" (71/73; 2 Bde.), "Dialektik für Manager" (74), "Marxismus für Manager" (75), "Manipulation durch die Sprache" (77), "Führen durch das Wort" (78), "Die Ketzer" (82), "Ethik für Wirtschaft und Politik" (83), "Vom Sinn des Lebens" (85), "Ethik für Manager" (89), "Die Macht der Moral" (90), "Wie man sinnvoll miteinander umgeht" (92), "Die Macht der Unmoral" (93), "Wie man sich Feinde schafft" (94), "Nachkirchliches Christentum" (95), "Ketzer, Dogmen, Denkverbote" (96), "Das Ende der Neuzeit" (96), "Weisheit für Unweise" (98), "Charakter ist kein Handicap" (00), "Die neue Redlichkeit" (06), "Die Zweite Aufklärung" (15).

Literatur

Sekundärliteratur u. a.: Georg Denzler, Rudolf Jansche, Hans Küng, Herbert Rosendorfer: "Der Ketzer Rupert Lay und das Versagen der Kirche" (96), Eilika Emmerlich: "Rupert Lay und die Manager: Eine kritische Theorie und ihre Praxis" (09).

Auszeichnungen

Auszeichnungen u. a.: Verdienstkreuz Eugen-Moog-Stiftung (81), Deutscher Fairness-Preis (04).

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften/weitere Ämter u. a.: Gründungsmitgl. u. Kuratoriumsvorsitzender d. Fairness-Stiftung (00-04; danach Ehrenvorsitz), Ehrenpräs. d. Ethikverbands der Deutschen Wirtschaft.

Adresse

Letzte Adresse: c/o Rupert Diedrich, Rufgasse 9/18, 1090 Wien, Österreich, E-Mail: r.diedrich@rupert-lay.de, Internet: www.rupert-lay.de



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