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Sally Potter

Sally Potter

britische Regisseurin und Drehbuchautorin
Geburtstag: 19. September 1949 London
Nation: Großbritannien

Internationales Biographisches Archiv 39/2017 vom 26. September 2017 (fe)
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 15/2020


Blick in die Presse

Herkunft

Sally Potter wurde am 19. Sept. 1949 in London geboren. Ihre Mutter war Musiklehrerin, ihr Vater Innenarchitekt und Schriftsteller, beide Großmütter waren Schauspielerinnen.

Ausbildung

Bereits als Teenager im Alter von 14 Jahren drehte P. mit einer 8-mm-Kamera Amateurfilme. Im Alter von 15 Jahren verließ sie die Schule und versuchte ihr Glück in der Filmszene Londons. Einige Jahre später war es der Tanz, der P. faszinierte, und sie absolvierte in den 1970er Jahren eine Ausbildung als Tänzerin und Choreographin an der London School of Contemporary Dance.

Wirken

Anfänge beim Tanz und Wechsel ins RegiefachSchließlich gründete P. mit Jacky Lansley zusammen die "Limited Dance Company". Tanz und Choreographie blieben in den folgenden Jahren die Hauptprofessionen von P., sie drehte jedoch bereits zu dieser Zeit eine Reihe von kurzen Filmen über ihr Metier und hatte auch erste Erfolge als Theaterregisseurin.

P.s erste international bekannte Arbeit als Filmregisseurin war 1979 der Kurzfilm "Thriller", eine kritische Neubearbeitung von Giacomo Puccinis Oper "La Bohème", die zu einem Insider-Kulthit auf den internationalen Festivals wurde. Vier Jahre später folgte der Spielfilm "Gold Diggers" mit Julie Christie in der Hauptrolle. In dem Film "I am an Ox, I am a Horse, I am a Man, I am a Woman" (1988) beschäftigte sich P. mit Frauen im Sowjet-Film. Daneben war sie Mitglied verschiedener Bands und als Songschreiberin und Sängerin tätig.

Durchbruch als RegisseurinEin Großprojekt nahm sich P. 1992 mit dem Film "Orlando" vor, zu dem sie auch das Drehbuch nach Virginia Woolfs gleichnamigem Roman schrieb. Woolfs Romanvorlage, oft als eine Art "Bibel" des Feminismus bezeichnet, umfasst 400 Jahre Geschichte, die anhand der Biographie - einschließlich Geschlechtswechsel - der nicht alternden Hauptfigur Orlando nachgezeichnet werden. Zugleich wird die Entwicklung der Emanzipation beleuchtet. Mit diesem Streifen gelang der Regisseurin P. der endgültige Durchbruch. Belohnt wurde ihre Arbeit mit einer Oscar-Nominierung und dem Europäischen Filmpreis (Felix) 1993 in der Kategorie Junger Europäischer Film.

Der Kampf der Geschlechter wurde auch zum Inhalt von P.s nächster Regiearbeit, dem Tanzfilm "Tango Lesson" (1997), in dem sie selbst mangels einer geeigneten Darstellerin die weibliche Hauptrolle übernahm und auch die Musik zum Teil selbst komponierte. Hier nun war sie zurück in ihrem ureigensten Milieu, dem Tanz, an ihrer Seite bewegte sich der Tänzer Pablo Verón im Tangoschritt. Die Geschichte entwickelt sich aus einem Handel zwischen dem Tango-Profi Pablo und einer Regisseurin, die auch im Film Sally heißt. Die autobiographischen Bezüge sind klar erkennbar. Pablo bringt ihr den Tango bei, im Gegenzug soll sie ihn durch eine Rolle in ihrem nächsten Film zum Star machen. Es geht dabei um die wechselnden Führungsansprüche und die sich daraus ergebenden Konflikte. Die Kritik fiel zwiespältig aus. Auf der einen Seite wurden die Tanzszenen als "herausragend" gelobt, andererseits wurde der Vorwurf laut, P. gerate mit ihrem Werk "häufig in die Nähe zum Kitsch" (film-dienst, 30.9.1997).

Geschichtliche Hintergründe hatte P.s nächster Film "The Man Who Cried" (dt. "In stürmischen Zeiten"; Buch u. Regie), auf den die Kinogänger bis zum Jahr 2000 warten mussten. Er erzählt die Geschichte des jüdisch-russischen Mädchens Fegele, dessen Vater Anfang der 1930er Jahre seine Heimat, ein "Schtetl" in Osteuropa, in Richtung Amerika verlässt und sie zurücklässt. Für das Mädchen, das nach der Vertreibung durch die Nazis Aufnahme bei einem Ehepaar in London findet und schließlich als Statistin an einer Pariser Opernbühne landet, wird die Suche nach dem Vater zur Lebensaufgabe. "Potter ist in Großbritannien die führende Regisseurin der letzten fünfundzwanzig Jahre" urteilte zu dieser Zeit die Filmenzyklopädie Screenonline in der Biographie der Regisseurin und fuhr fort: "Ihre Arbeit repräsentiert eine typisch britische Richtung der künstlerisch ambitionierten Filmgestaltung, wiewohl sie in ihrer Wirkung international ist." Zudem galt P. mittlerweile als eine der wichtigsten Vertreterinnen des feministischen Kinos.

Im Jahr 2004 drehte P. nach einer erneuten Schaffenspause den Film "Yes" (in deutschen Kinos erst 2006), eine Liebesgeschichte, über die der film-dienst (1/2006) schrieb, sie spiele "inhaltlich mit den Stereotypen der romantischen Komödie", versage "sich ihnen formal aber völlig". Thematisiert wird darin die Ehe eines erfolgreichen Politikers, die nur noch oberflächlich funktioniert. Seine Frau, die sich bemüht, den Schein zu wahren und sich in ihrem Beruf als Mikrobiologin vergräbt, trifft eines Tages auf einen Flüchtling, der im Libanon angesehener Arzt war und in London als Koch arbeitet. Ihm gelingt es, sie wachzurütteln. Die Stuttgarter Zeitung (5.1.2006) bezeichnete den Streifen als "filmisches Gesamtkunstwerk", das "aufregend altmodisches, verspieltes, anspruchsvoll durchreflektiertes und zugleich opulentes Autorenkino par excellence" darstelle, er sei "fast eine Flaschenpost aus besseren Zeiten".

Im Herbst 2007 brachte P. an der English National Opera in London Georges Bizets Oper "Carmen" auf die Bühne (musikalische Leitung: Edward Gardener).

Im Jahr 2009 versuchte sich P. an einem Kunstfilm. In "Rage" ( u. a. mit Judi Dench und Jude Law) ist der Protagonist ein junger Blogger namens Michelangelo, der in einem New Yorker Modehaus Hintergrundinterviews mit 14 sehr eigenen Persönlichkeiten filmt, u. a. mit dem Chef-Designer, einem Supermodel, einem Finanzier bis hin zu einer Näherin und dem Pizzaboten. Allmählich öffnen sich alle Befragten dem Jungen und liefern Stück für Stück ein Porträt einer der Oberflächlichkeit verfallenen Branche. Der "bemerkenswerte Konzeptfilm" (film-dienst 2/2010) lief als Wettbewerbsbeitrag bei der Berlinale 2009.

2014 kam P.s siebter Spielfilm, das Drama "Ginger & Rosa" in die Kinos, der ebenfalls im Wettbewerb der Berlinale lief. Der Coming-of-Age-Film erzählt die Geschichte von zwei rebellierenden Mädchen im London der frühen 1960er Jahre, die vor allem nicht wie ihre Mütter werden wollen. In einem Interview mit dem Magazin TimeOut (19.10.2012) nannte die Regisseurin das Drama ihren massenkompatibelsten Film, der von Kritikern und Publikum aber wiederum sehr zwiespältig aufgenommen wurde. Gelobt wurde in vielen Kritiken jedoch die exzellente Besetzung.

2017 hatte - erneut im Wettbewerb der Berlinale - P.s Schwarz-Weiß-Film "The Party" Premiere, laut Regisseurin eine Komödie, wenngleich mit tragischen Elementen (vgl. Variety, 2.2.2017). Er erzählt von einer Politikerin, die mit ihrem Mann und einigen engen Freunden – 50+, linksliberal, Mittelklasse - ihre Nominierung als Gesundheitsministerin im Schattenkabinett ihrer Partei feiern will, doch dann tun sich Abgründe auf, und der Abend verläuft völlig anders als gedacht. Dabei seziere P. ihre Figuren genüsslich, schrieb taz.de (14.2.2017), und rbb-online (13.2.2017) sah eine starbesetzte Satire im Stil einer Screwball-Komödie, mit schlagfertigen Dialogen, Sprachwitz, galligem Humor und mit einem "ausgesprochen guten Gefühl für Pointen und Rhythmus". Obwohl der Film auf der Berlinale unprämiert blieb, kam er dort auch beim Publikum bestens an.

Familie

Ihren Hauptwohnsitz hat P. in Großbritannien, für ihre Projekte reist sie jedoch sehr viel und fühlt sich nach eigenen Angaben überall zu Hause, wo sie gerade arbeitet.

Werke

Regiearbeiten von P. u. a.: "Thriller" (79), "London Story" (80), "The Gold Diggers" (83), "Tears, Laughter, Fear and Rage" (87; TV), "Orlando" (92; auch Drehbuch und Musik), "Tango Lesson" (97; auch Drehbuch, Hauptrolle u. Musik), "The Man Who Cried" (00; auch Drehbuch; dt. "In stürmischen Zeiten"), "Yes" (04; auch Drehbuch), "Rage" (09), "Ginger" (12; auch Drehbuch), "The Party" (17; auch Drehbuch).

Buchveröffentlichung: "Naked Cinema: Working with Actors" (14) .

2020: Kinostart (D): "The Roads Not Taken" (Großbritannien 2019; "THE ROADS NOT TAKEN"). Produzent: Christopher Sheppard. Regie: Sally Potter. Buch: Sally Potter. Darsteller: Javier Bardem (Leo), Elle Fanning (Molly), Salma Hayek (Dolores), Laura Linney (Rita), Branka Katic (Xenia), Dimitri Andreas (Mikael), Katia Mullova-Brind (Mel), Milena Tscharntke (Anni), Debora Weston (Zahnärztin). Inhalt: Ein demenzkranker Schriftsteller verliert sich zunehmend in den Erinnerungen seines Lebens, sodass er nicht mehr allein zurechtkommt. Im Verlauf eines Tages, an dem ihn seine Tochter zu verschiedenen Ärzten begleitet, driftet er immer wieder in seine Gedankenwelt ab, während die Tochter eine für sie unerwartete Nähe zu dem hilflosen Vater aufbaut. Drama. (film-dienst 15/2020)

Auszeichnungen

Auszeichnungen u. a.: Europäischer Filmpreis (93; für "Orlando"), Order of the British Empire (12).

Adresse

c/o Adventure Pictures, 6 Blackbird Yard, London, E2 7RP, Großbritannien, Tel.: +44 20 76132233, Internet: www.sallypotter.com



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