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MUNZINGER Personen

Heinz Reinefarth

Bürgermeister von Westerland/Sylt
Geburtstag: 26. Dezember 1903 Gnesen
Todestag: 7. Mai 1979
Nation: Deutschland - Bundesrepublik

Internationales Biographisches Archiv 23/1963 vom 27. Mai 1963
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 30/2024


Blick in die Presse

Wirken

Heinz Reinefarth wurde am 26. Dez. 1903 in Gnesen/Posen geboren. Von 1922-1927 studierte er Rechts- und Staatswissenschaften in Jena. Die beiden juristischen Staatsprüfungen legte er 1927 bzw. 1930 ab. Von 1931-1942 war er als Rechtsanwalt und Rechtsberater der SS. tätig. Von 1942-1945 stand er als Ministerialdirigent im Dienst des Reichsinnenministeriums, Hauptamt Ordnungspolizei. R. erklärt dazu, daß er als Reserveoffizier damit zwangsläufig den Dienstrang eines Polizeigeneralmajors erhalten habe. Am 20. April 1944 wurde R. Höherer SS- und Polizeiführer und Führer des "SS-Oberabschnitts Warthe" mit Sitz in Posen. Am 30. Juli 1944 beförderte man ihn zum SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei. Dies sei, so erklärt R. heute, ohne sein Zutun geschehen. R. nahm dann im Aug. 1944 mit seinen Verbänden an der Niederschlagung des Aufstands in Warschau im Aug. 1944 teil. Später war R., wie er erklärte, Festungskommandant von Küstrin, wo er gegen einen ausdrücklichen Befehl die Zivilbevölkerung evakuierte und dafür in das Wehrmachtsgefängnis Fort Zinna bei Torgau eingeliefert wurde, wo er hingerichtet werden sollte, was durch das Kriegsende verhindert wurde.

Nachdem R. nach dem Kriege von 1950-1951 zunächst wieder als Rechtsanwalt tätig gewesen war, wählte man ihn 1951 zum Bürgermeister von Westerland auf Sylt. Nach sechsjähriger Amtsführung wurde er 1957 auf 12 Jahre wiedergewählt.

Kurz bevor er im Herbst 1958 über die Landesliste GB-BHE (später G.D.P.) auch in den Landtag von Schleswig-Holstein einzog (er war bereits Kreistagsabgeordneter und Mitglied des Kreisausschusses Südtondern sowie Mitglied des Landesvorstandes des GB/BHE), wurde er auf eigenen Wunsch am 3. Aug. 1958 vom Westerländer Magistrat als Bürgermeister beurlaubt, weil von der Flensburger Staatsanwaltschaft gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eingeleitet worden war, er sei an der rechtswidrigen Tötung von mindestens 10 000 Menschen beim Niederschlagen des Aufstands in Warschau 1944 beteiligt gewesen. Das Verfahren wurde bereits im Okt. 1958 ohne Ergebnis eingestellt. Die SS-Sträflingsbrigade Dirlewanger und die berüchtigte Einheit Kaminski, die nachweislich Massenerschießungen von Zivilisten, auch Frauen und Kindern vornahmen, hätten, so meinte man damals, nicht unter dem Befehl R.s gestanden, der im übrigen erklärte, erst am 5. Aug. in das Kampfgeschehen eingegriffen zu haben, als es schon nicht mehr zu unmenschlichen Übergriffen gekommen Wäre. R. hatte auch auf ihn entlastende Urteile des Internationalen Gerichtshofes in Nürnberg hingewiesen, wo der amerikanische Ankläger eine Anklageerhebung gegen ihn wegen erwiesener Unschuld abgelehnt habe. Auch sei er vom Spruchgericht Hamburg-Bergedorf 1949 freigesprochen und 1950 beim Entnazifizierungsverfahren in Flensburg als Entlasteter in die Gruppe 5 eingereiht worden.

In der Öffentlichkeit hatten sich schon damals erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des Ermittlungsergebnisses gebildet, zumal zahlreiche, teils in Polen befindliche Dokumente, die R. als "Fälschungen" abtat, ein anderes Bild ergaben. Der Fall zeitigte weiterhin politische Unruhen, vor allem in der schleswig-holsteinischen Landespolitik. Der von dem Kieler Landesbeauftragten für staatsbürgerliche Bildung Dr. Hessenauer heftig kritisierte damalige Ministerpräsident v. Hassel berief sich im Dez. 1958 vor dem Landtag darauf, daß es staatsrechtlich unmöglich sei, einem gewählten Abgeordneten das Mandat abzunehmen. R. blieb weiterhin Bürgermeister von Westerland und Mitglied des Landtags, wo er Experte für Polizeifragen seiner Fraktion war.

Ende Sept. 1961 heb der Landtag die Immunität von R. auf, weil ein neues Verfahren gegen ihn eingeleitet wurde. Dr. Hanns v. Krannhals, Dozent an der Ostdeutschen Akademie in Lüneburg und Spezialist für Ostfragen hatte der Staatsanwaltschaft Flensburg ein neues Gutachten über den Warschauer Aufstand vorgelegt, daß R. erneut erheblich belastet. Das Material gegen R. stammt aus dem Kriegstagebuch der 9. Armee der deutschen Wehrmacht, das sich heute im Archiv von Alexandria/Missisippi USA befindet. Nach Krannhals haben sich durch die wissenschaftliche Auswertung der rund 7000 Tagebuchblättern, Mikrofilme und andere Dokumente neue Anhaltspunkte dafür ergeben, daß R.s Schuld an den Morden nahezu festzustehen scheine. Krannhals hat seine Forschungsergebnisse auch in Buchform vorgelegt und damit die These vom absichtlichen Verblutenlassen der Insurgenten durch Stalin wesentlich korrigiert, indem er darlegt, daß einmal die Möglichkeiten beschränkt waren, zum anderen aber auch für die Sowjets Anlaß bestand die rechtsorientierten Kreise nicht besonders zu stützen ("Der Warschauer Aufstand", Frankfurt 1962).

R. ist verheiratet und hat 2 Kinder.

Anschrift: Westerland/Sylt, Stadumstr. 43 (T. 2957).

Literatur

2024: Stephan Lehnstaedt: "Der Warschauer Aufstand 1944". Sachbuch.

Heinz Reinefarth



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