Jan Hoet
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Internationales Biographisches Archiv
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW
Jan Hoet wurde am 23. Juni 1936 in Leuven, Belgien, geboren. Er wuchs mit sechs Geschwistern in Gent auf. Sich für Kunst zu begeistern lernte H. von seinem Vater, einem Psychiater, der Kunstsammler war.
H. begann zu malen, entdeckte aber, dass es ihm nicht gelang, einen eigenen Stil zu entwickeln, und sattelte auf ein kunsthistorisches Studium um. Seine Dissertation schrieb er über "Victor Servranckx und die Ersten Abstrakten in Belgien". Daneben beschäftigte er sich mit Amateurboxen in der Leichtgewichtsklasse.
Seit 1969 Kunsthistoriker an der Universität Gent, übernahm H. 1970 eine Professur für Ästhetik an der dortigen Kunstakademie. 1975 übertrug man ihm die Leitung des neu gegründeten Museums van Hedendaagse Kunst in Gent, das im 1903 erbauten Museum voor Schone Kunsten untergekommen war. Unter schwierigsten finanziellen Verhältnissen baute H. dort die bedeutendste belgische Sammlung zeitgenössischer Kunst auf und organisierte mit einem minimalen Budget 19 Ausstellungen - u. a. von Künstlern wie
Arbeit als freier AusstellungskuratorIn der internationalen Kunstszene machte H. vor allem durch seine spektakuläre Ausstellung "Chambres d'ami" 1986 von sich reden. Er hatte 51 Genter Bürger aller Schichten und Stadtteile überredet, je einen Künstler in die Wohnung zu lassen. Berühmtheiten der europäischen und amerikanischen Avantgarde verfremdeten ihre "Chambres d'ami" mit Wandbemalungen oder möblierten sie mit Objekten, die Kunstinteressierte ansehen konnten. "Chambres d'ami", so H., fand nicht zuletzt deshalb statt, um dem Museum mit seinen teilweise erstarrten Strukturen, seinen überalterten didaktischen Strategien zumindest zeitweise zu entkommen (SZ, 3.2.1988). Es war aber keine Ausstellung gegen das Museum, sondern eine Ausstellung, in der das Museum Objekt der Untersuchung war. Mit der Ausstellung "Open mind - gesloten circuits" des Frühjahrs 1989 in Gent versuchte H., die Kunstwelt der Akademie mit der von geisteskranken Künstlern in Kontrast zu setzen, um dazwischen Raum für die eigentliche Kunst zu schaffen. Aus der Akademie, der "Vorhalle der Kunst", führte er in farbig getünchte Säle, wo Werke von de
Künstlerische Leitung der documentaIm Jan. 1989 wurde H. vom documenta-Aufsichtsrat einstimmig zum künstlerischen Leiter der documenta 9 1992 in Kassel berufen. Ausgehend von dem Konzept, dass das Individuum - sowohl der Künstler als auch der Betrachter - Stärkung erfahren muss, wollte H. das Essenzielle der Kunst an Einzelpersönlichkeiten ausleuchten, dazu aber ausschließlich mit bildenden Künstlern arbeiten. Er ließ sich als Museumsdirektor beurlauben und legte fünf Monate vor Beginn der documenta 9 sein Konzept für die wichtigste Bilder- und Skulpturenschau der Welt fest. Letztlich wurden aus ursprünglich 125 eingeladenen Künstlern 188, darunter viele unbekannte Namen, rund 1.000 Werke wurden gezeigt. Kritikern, denen die Auswahl und Konzeption zu beliebig erschien, hielt H. entgegen: "Man darf die documenta nicht zelebrieren. Gucken Sie mal die Museen an, die zelebrieren alles und trennen so Kunst vom Leben. Das Leben ist trivial, und die Kunst ist heilig! ... Künstler haben nie eine elitäre Position gewünscht" (SZ, 31.7.1992).
Wirtschaftlich wurde die documenta 9 ein voller Erfolg - erstmals in der Geschichte der Schau. Über 600.000 Besucher brachten Erträge aus Eintrittsgeldern von rund 7 Mio. DM in die Kassen der Veranstalter, viele Werke der ausstellenden Künstler fanden Käufer. So zog H. trotz meist negativer Presse-Kritik eine positive Gesamtbilanz. H., der erste documenta-Chef, der seinem Publikum in einer "Sprechstunde" Rede und Antwort stand, kam zu dem Schluss, er "habe alles erreicht, was er versprochen habe" (WELT, 19.9.1992).
Verschiedene Tätigkeiten im KunstbereichIm Nov. 1992 nahm H. seine Arbeit in Gent wieder auf, wo er im Jahr darauf erneut mit einem revolutionären Konzept für Aufsehen sorgte. Für die Ausstellung "Rendez(-)vous" folgten 1.650 Bürger H.s Aufruf, ihm ihren Lieblingsgegenstand zu leihen. Vier Künstler beauftragte er, diesen Kostbarkeiten einen Rahmen zu geben: den Russen
Eine weitere spektakuläre Kunstinszenierung im öffentlichen Raum war "Over the Edges" im Frühjahr 2000. Bei dieser Aktion verteilte H. mehrere Dutzend unterschiedlichste aktuelle Arbeiten von Künstlern aus 27 Ländern in der Stadt. So ließ der Franzose Patrick in hohem Bogen Teller aus einem Fenster fliegen, begleitet von Tonbandaufnahmen mit Wutausbrüchen, der Belgier Emilio Lopez-Menchero einen lauten Tarzan-Schrei über der Stadt erschallen. Tony Matelli platzierte streunende Blindenhunde aus Plastik an vielen Straßenecken, Cai Quo Qiang Aquarien mit echten Fischen an Kreuzungen und in Nischen, um nur einige zu nennen.
Leitung von zeitgenössischen Museen in Gent und HerfordNach fast 25 Jahren Kampf um ein eigenes Museum für zeitgenössische Kunst in Gent konnte H. am 6. Mai 1999 endlich das "Stedelijk Museum voor aktuelle Kunst" (SMAK) eröffnen, zu dessen erstem Direktor er bestellt wurde. Nach Ablauf seines Vertrages Ende 2000 zeichnete er Anfang 2001 für die "Artline 5" in Borken verantwortlich, im Juni für die Ausstellung "Sonsbeek 9" mit dem Titel "LocusFocus" in Arnheim. Im August wechselte H. im Alter von 65 Jahren nach Herford als Leiter des neu zu schaffenden Museums für zeitgenössische Kunst "MARTa" (M steht für Möbel, ART für Kunst und a für Ambiente). Genau wie in Belgien verfügte H. allerdings auch dieses Mal über keinen Museumsbau. Die Stadtväter von Herford hatten sich für ein repräsentatives Bauwerk des Stararchitekten
Probleme mit Herford und AbschiedAls eine gemeinnützige GmbH geführt, verursachte der Betrieb des Museums trotz hoher Besucherzahlen allein im Jahr 2005 mehr als eine halbe Million Euro mehr Kosten als erwartet und so kürzte bereits Mitte 2006 der Stadtrat den Etat und genehmigte nur noch vier statt sechs Ausstellungen jährlich; außerdem wurden die Finanzen des Museums ab sofort wöchentlich überprüft. H. erklärte sich auf Druck der Stadtverwaltung im Juli 2006 zusätzlich bereit, mit seinem persönlichen Vermögen zu haften, falls der Budgetrahmen für die Ausstellungen überschritten werden sollte; dies war ein absolutes Novum im deutschen Museumsbetrieb (FAZ, 24.7.2006). Im Nov. 2007 zog H. die Konsequenzen: Er lehnte ab, seinen Vertrag, der bis Ende 2008 lief, zu verlängern. Obwohl H. im Febr. 2008 für kurze Zeit signalisiert hatte, doch in Herford bleiben zu wollen, wählte der Stadtrat im April den bisherigen künstlerischen Leiter der Städtischen Galerie Nordhorn und ehemaligen Mitarbeiter H.s aus dem documenta-9-Team, Roland Nachtigäller, zu seinem Nachfolger. H.s vorletzte Ausstellung in Herford trug den Titel "Ad Absurdum. Energien des Absurden von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart" und legte nach Meinung der tageszeitung (17./18.5.2008) "Zeugnis von einer hintergründigen Auseinandersetzung mit dem Status eines solchen Museums in einer Stadt wie Herford ab". H.s letzte Ausstellung feierte seinen Landsmann Félicien Rops mit der Ausstellung "Loss of Control", die er u. a. mit Werken von
Wieder als freier Ausstellungsmacher tätigNach seiner Herforder Zeit beschäftigte sich H. wieder als freier Kurator: Ende April 2009 wurde anlässlich des 2000. Jahrestags der Varus-Schlacht in Osnabrück das Kunstprojekt "Colossal. Kunst-Fakt-Fiktion" eröffnet, für das H. verantwortlich zeichnete. An 15 verschiedenen Standorten, an denen vermutlich damals gekämpft wurde, und entlang einer landschaftlichen reizvollen Route stellten 19 Künstler Skulpturen auf, die bis Ende 2011 zu besichtigen waren. Im Okt. 2009 brachte H. für die Galerie ABTART in Stuttgart für eine Eröffnungsausstellung ihres Galerieneubaus in Möhringen unter dem Titel "(Z)ART" junge zeitgenössische Künstler aus Deutschland, Polen, Belgien, Großbritannien und Italien zusammen, die der neuen Subtilität künstlerischer Sinnlichkeit näher auf den Grund gehen sollten und überraschte damit, "dass er auf Provokation und Paukenschlag" verzichtete (Stgt. Z., 30.10.2009).
H. war verheiratet und hatte drei Kinder und sieben Enkelkinder; seine Familie lebt in Gent.
27. Februar 2014: Der belgische Kunsthistoriker und Museumsdirektor
Literatur u. a.: "Mit der Kunst muss man zu den Menschen gehen". Dr. Jan Hoet im Gespräch mit Urszula Usakowska-Wolff (www.kunstdunst.de).
Auszeichnungen u. a.: Burda-Preis für Ausstellungsmacher "Passepartout" (88), Ehrendoktor der Universität Gent, Ritter im Adelsstand seiner Majestät des Königs und der Königin von Belgien, Chevalier de l'Ordre des Arts et des Lettres, Künstlerischer Berater des Königs und der Königin von Belgien, Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (09).
Mitgliedschaften/Ämter: Kunstbeauftragter im Belgischen Senat, Professor der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg (ab 00), Präsident der Association internationale d'art (A.I.C.A.).
Letzte Adresse: c/o Landschaftsverband Osnabrücker Land e. V., Schloss Iburg, Hofapotheke, 49186 Bad Iburg, Tel.: 05403 724550, Fax: 05403 7245510, E-Mail: colossal@lvosl.de